Flache Unternehmenshierarchien und viel Sicherheit gefordert Arbeitsplatz 4.0 kommt, aber mit Risiken
Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen sich digital transformieren. Das spart den Arbeitsplatz nicht aus. Der Workplace 4.0 verlangt von Firmen, sich technisch, organisatorisch und kulturell zu überdenken. Denn mobile Endgeräte gehören genauso dazu, wie flexible Arbeitszeiten und künstliche Intelligenz. Dabei sorgt der Datenschutz für möglichen Zündstoff.
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Viele assoziieren den Arbeitsplatz der Zukunft zuallererst mit Homeoffice. Doch das Thema geht weit darüber hinaus. Denn Firmen sind heute mit immer schnelleren technologischen Entwicklungszyklen und einem veränderten Grundverständnis von Arbeit und Wertschöpfung konfrontiert. Vor dem Hintergrund einer zunehmend offeneren und mobileren Wirtschaft werden zukünftig nur diejenigen Unternehmen langfristig erfolgreich sein, die schnell auf Veränderungen reagieren können.
Die Marktforscher von Crisp befragten Anfang des Jahres 309 IT- und Business-Entscheider aus Firmen verschiedener Größe und Branchen zu ihren Work-4.0-Konzepten. Dabei stellten sie fest, dass 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland diesen Trend frühzeitig erkannt und den Wechsel in eine moderne Organisationskultur bereits in weiten Teilen vollzogen haben. Die Mehrheit der Unternehmen (47 Prozent) befindet sich noch im Übergang zu einer agilen und interaktiven Unternehmenskultur. „Dabei ist es nicht allein damit getan, Mitarbeiter mit digitalen Technologien auszustatten. Nur intelligent vernetzt und richtig angewendet, bietet die Technologie letztendlich einen Mehrwert“, betont Studienleiter Maximilian Hille, Senior Analyst bei Crisp Research.
Klassisches Telefon beliebt
Visionen alleine reichen natürlich nicht. Wichtig ist,die entsprechende technologische Architektur bereitzustellen. Für die Erneuerung der mobilen Endgeräte, der Anwendungslandschaft und der Cloud-Infrastruktur erhöhen derzeit über 50 Prozent der Unternehmen ihre Budgets. Leistungsstarke mobile Endgeräte und die zugehörige Business Software sowie Collaboration Tools gehören ebenso dazu wie Backend-Services und Anwendungen für Management sowie Security.
Mobile Endgeräte feiern ihren Siegeszug auf dem Schreibtisch: das Smartphone gehört heute bereits bei 71 Prozent der Unternehmen zum Standard und wird zukünftig mit 78 Prozent das Endgerät der Wahl sein. Beim Tablet sind sich 46 Prozent der Entscheider einig, dass es in Zukunft elementar für den digitalen Arbeitsplatz sein wird. Dabei überrascht die weiterbestehende Beliebtheit des klassischen Telefons. Laut der Crisp-Studie wird dies auch künftig mit 71 Prozent ein tragendes Element der Arbeitsplatzausstattung darstellen.
Ein Verlierer wird voraussichtlich allerdings der Desktop-PC sein. Während heute der Desktop-PC und ein Notebook noch etwa gleichauf in der Nutzung sind (PC: 77 Prozent, Notebook: 74 Prozent), wird das Notebook für 72 Prozent der Befragten dank seiner Mobilität langfristig als High-Performance-Device überleben. 50 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass der PC gerade für mobil arbeitende Mitarbeiter langfristig durch mobile Endgeräte, zum Beispiel auch Premium-Tablets, ersetzt werden wird.
Steigende Relevanz prognostiziert die Studie besonders für neue Gerätetypen, wie Augmented- oder Mixed-Reality-Brillen (mit einer Steigerung von 6 auf 13 Prozent), Wearables (7 auf 13 Prozent), digitale Whiteboards und Flipcharts (11 auf 16 Prozent) oder auch spezielle Video-Walls (9 auf 14 Prozent).
Flexible Arbeitszeit bedeutet flache Hierarchien
Mit diesem Wandel geht ebenfalls eine Veränderung der Arbeitszeitstruktur einher. Geben heute noch fast zwei Drittel der Unternehmen (63 Prozent) an, im klassischen 9-to-5-Rhythmus zu arbeiten, werden in Zukunft nur etwa 39 Prozent der Unternehmen einen solchen Arbeitsrhythmus voraussetzen. Dagegen wird die Vertrauensarbeitszeit, die heute schon bei etwa 40 Prozent der Unternehmen gewährt wird, einen weiteren Aufschwung erhalten und bei über 52 Prozent der Unternehmen Anwendung finden.
Die flexible Gestaltung von Arbeitszeit geht einher mit einem höheren Maß an Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Diese Art zu arbeiten kann nur mit flachen Hierarchien und genauen Vorgaben bzw. Befugnissen gelingen. Drei Viertel aller Unternehmen wollen zukünftig mit flachen Hierarchien und einer agilen Unternehmenskultur das eigene Geschäft vorantreiben. „Entscheidungsträger haben in restrukturierten Organisationen viel mehr die Rolle eines Antreibers und Visionärs, der seine Mitarbeiter zur Mitgestaltung der neuen Kultur motiviert. Trainings und neue Aufgabenbereiche für die Mitarbeiter sind daher besonders wichtig, um die Berührungspunkte mit den neuen Technologien abwechslungsreich und die Adaption zügig zu gestalten“, erläutert Hille.
Aktuell sehen 33 Prozent der befragten Entscheider Herausforderungen im Skill-Set der IT-Mitarbeiter. Insbesondere Schulungen rund um das sensible Thema Datenschutz sehen 56 Prozent der Entscheider als zwingend notwendig.
Arguemente für das Homeoffice
Das Thema Homeoffice ist in aller Munde: in Berufen und Branchen in denen viel computergestützt gearbeitet wird, setzen immer mehr Firmen in Deutschland auf die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern Optionen für die Arbeit von zu Hause oder anderswo anzubieten. So hat beispielsweise SAP verkündet, dass seine 22.000 Mitarbeiter in Deutschland künftig weitgehend frei entscheiden, von wo aus sie ihre Arbeit erledigen. Sie können demnächst ganz normal ins Büro gehen oder von zu Hause, vom Café oder vom Schwimmbad aus arbeiten.
Solche Optionen sind wichtig und Unternehmen versprechen sich davon besonders Vorteile im Kampf um rare Fachkräfte. Arbeitnehmer selbst schätzen häufig das Wegfallen lästiger Pendelwege, höhere Flexibilität und ein entspanntes Arbeitsumfeld. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten also?
Argumente gegen das Homeoffice
Nicht ganz: Für viele Personalabteilungen und Manager ist die Option auf flexible Arbeitsorte eher Mittel zum Zweck. Dem Vorteil in der Recruiting-Politik stehen einige Nachteile gegenüber, etwa eine drohende Ungleichbehandlung von Mitarbeitern oder eine negative Leistungsentwicklung. „Um Kreativität und Produktivität aufrecht zu erhalten, ist es häufig hilfreich, sich regelmäßig mit Vorgesetzten und Kollegen persönlich auszutauschen – in Meetings, aber auch spontan und im inoffiziellen Rahmen, etwa bei einem Kaffee oder über den oft wichtigen Flurfunk“, so Dr. Ole Mensching, CEO der Personalberatung Careerteam.
Auch die Motivation und damit die Leistung kann durch fehlenden sozialen Druck aus dem Kollegenkreis leiden. Dies ist einer von mehreren Gründen, warum IBM und zahlreiche andere namhafte US-Konzerne bereits dabei sind, Homeoffice-Optionen sukzessive zurückzufahren. Galten die USA bis vor kurzem noch als Mekka des „Remote Working“, verzeichneten viele Firmen in der Vergangenheit bedenkliche Einbußen bei der Produktivität, wenn sie vielen Mitarbeitern erlaubten, von daheim zu arbeiten.
Dennoch fanden die Crisp-Analysten in ihrer Studie heraus, dass der Trend in Deutschland bereits heute über das klassische Homeoffice hinaus in Richtung freie Ortswahl geht. Co-Working Spaces werden in Zukunft ebenso als Arbeitsplätze dienen wie Cafés. Während es heute mit 24 Prozent eher ausgewählte Unternehmen sind, die diese Möglichkeiten einräumen, werden es zukünftig knapp 51 Prozent sein, die den Ansatz des ortsunabhängigen Arbeitens flächendeckend ausweiten.
Doch stehen sich Homeoffice und produktive Teamarbeit tatsächlich so diametral entgegen? Mensching beschwichtigt und blickt voraus: „Der technologische Fortschritt wird in den kommenden Jahren für eine wesentlich bessere Vereinbarkeit der beiden Modelle sorgen.“ Die bestehenden Telekommunikationsmöglichkeiten zur ortsunabhängigen Kollaboration würden bereits heute immer weiter verfeinert. Für zahlreiche weitere Lösungen seien die Grundlagen bereits entwickelt oder würden an anderer Stelle bereits eingesetzt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Virtual-Reality-Anwendungen im Meeting der Zukunft einen festen Platz einnehmen werden“, so Mensching weiter. Mit Hilfe diverser Videokameras könnte der nicht im Unternehmen befindliche Mitarbeiter dank VR-Brille in Echtzeit am Meeting teilnehmen. Im Gegenzug hätten die Kollegen die Möglichkeit, ihn etwa dank Hologramm-Technologien vor sich zu sehen – hier werden marktreife Anwendungen für die Breite allerdings wohl erst in einigen Jahren bereitstehen.
Gerade in kreativen Berufen geht es häufig jedoch nicht nur um verbalen Austausch, sondern auch um das gemeinsame Erarbeiten von Ideen, etwa am Whiteboard. Hier wäre es grundsätzlich ein Leichtes, digitale Screen Devices im Home Office und im Meeting miteinander zu vernetzen. Die auf das Tablet des zu Hause arbeitenden Mitarbeiter gebannten Entwürfe würden direkt auf dem Screen im Meeting-Raum erscheinen – und umgekehrt. Eine weitere Lösung für direkte Interaktion räumlich voneinander getrennter Akteure wären die etwa aus der Chirurgie bekannten „Remote Robotic Hands“. Mittels eines Roboterhandschuhs zeichnet der Mitarbeiter auf der Zugfahrt zum nächsten Kundentermin seine Idee in die Luft – seinem Team wird das entsprechende optische Gebilde direkt auf dem Screen im Meeting-Raum dargestellt.
Security und Datenschutz
Der digitale Arbeitsplatz der Zukunft muss den Spagat zwischen den Wünschen des Endanwenders und der Sicherheit schaffen. Gerade in Hinblick auf die reformierte europäische Datenschutzgrundverordnung, die am 25. Mai in Kraft tritt. Auch unter den Befragten der Crisp-Studie geben fast zwei Drittel der Entscheider an, dem Thema Datenschutz im Vergleich zur User Experience und Umsetzungsgeschwindigkeit den Vorrang einzuräumen.
Diese Auffassung schlägt sich auch in der Budget-Ausrichtung nieder: Ganze 64 Prozent der Unternehmen erhalten für neue Security-Software höhere Budgets, um dauerhafte Sicherheit ermöglichen zu können. Management- und Sicherheitsplattformen werden darüber hinaus zum zentralen Gestaltungsparameter des digitalen Arbeitsplatzes. „Die Balance zwischen umfassender Sicherheit und Datenschutz sowie einer gleichzeitig hohen User Experience gilt aktuell als eine der größten Herausforderungen in der digitalen Transformation von Unternehmen“, so Hille.
Künstliche Intelligenz unsicher aber hilfreich
Unternehmen werden sich technisch, organisatorisch und kulturell neu aufstellen müssen. Erst in Kombination von Organisation, Leadership und Kultur sowie Technologie-Ausstattung können spannenden Projekte realisiert und damit Geschäftsprozesse und -modelle digitalisiert und modernisiert werden. Für IT-Leiter rücken drei Aspekte folglich in den Fokus: intelligente Automation, Sicherheit auf Geräte-, App- und Datenebene sowie Compliance mit Lizenzbestimmungen und immer strengeren Regularien.
Hilfreich kann dabei künstliche Intelligenz sein. So könnte sich damit der digitale Arbeitsplatz bald schon automatisiert an die Anforderungen des Endanwenders anpassen. Künstliche Intelligenz wandert bereits verstärkt in Endgeräte und den Digital Workspace, erlernt das Verhalten des Benutzers und soll ihm den Arbeitsalltag erleichtern.
Das äußert sich dann beispielsweise folgendermaßen: Schaltet der Benutzer das Endgerät ein, erkennt es ihn automatisch anhand biometrischer Merkmale – sei es am Fingerabdruck, Gesicht, an den Augen oder der Stimme. Dank Zugriff auf Terminkalender und Projektmanagement-Tool weiß der digitale Arbeitsplatz, welche Apps der Anwender nun voraussichtlich benötigt. So kann er ihm benötigte Unterlagen ebenso proaktiv vorschlagen wie etwa die App für das Web-Conferencing: „In einer Minute beginnt Ihre Team-Konferenz. Wollen Sie sich einloggen?“ Im Meeting sind dann die gemeinsam genutzten Ordner, Termine und Tools in direkter Reichweite.
Der Anwender wird seinen digitalen Arbeitsplatz von Gerät zu Gerät mitnehmen können, „Follow-me Workplace“ genannt. Auch das kann per Automatismus erfolgen. Sobald der Nutzer den Schreibtisch verlässt, also die Bluetooth-Verbindung zwischen PC und Mobilgeräten verliert, wandern geöffnete Dateien per WLAN automatisch auf sein Tablet. Zudem wird der User Dateien gestengesteuert zwischen Endgeräten verschieben können. Per Wischgeste übernimmt er zum Beispiel die Kundenpräsentation auf sein Tablet.
Bereits aus dem privaten Umfeld sind Mitarbeiter sprachgesteuerte Assistenten wie Alexa gewohnt. Auch diese werden ihren Weg in das Arbeitsplatzkonzept 4.0 finden: „Alexa, hol den Kollegen Hans Maier vom Vertrieb mit ins Meeting!“ Auch das Anlegen von Trouble-Tickets kann sich möglicherweise auf virtuelle Assistenten verlagern: „Siri, bestelle neuen Toner für den Drucker im Konferenzraum!“ Welchen Toner und Drucker der User genau meint, erkennt dann das AI-gestützte Workspace-Management per Zugriff auf die Asset-Datenbank und den Raumplan des Facility-Managements sowie anhand von Geolokationsdaten des Smartphones.
Wie schon zuvor, ist der Knackpunkt auch hier der Datenschutz. „Kritisch aus rechtlicher Sicht ist die Machine-Learning-gestützte Echtzeitanalyse des Nutzerverhaltens, wie sie insbesondere US-Anbieter gerne propagieren“, mahnt Oliver Bendig, CEO des Workspace- und Service-Management-Anbieters Matrix42. „Hier werden deutsche Datenschutzbeauftragte zurecht hellhörig. Denn solche Verhaltensdaten werden zwar anonymisiert oder pseudonymisiert erhoben; letztlich aber ist es immer Sinn und Zweck derartiger Lösungen, einen Angriff oder ein auffälliges Verhalten auf einen bestimmten Client und somit Endanwender zurückführen zu können.“
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