Von Augmented Reality bis Smart Factory Die Cloud fördert Innovation in der Produktion

Von Michael Matzer |

Die Cloud kommt in der Produktion in zahlreichen Bereichen und Prozessen zum Einsatz, sei es im Machine Learning, bei Digital Twins, in der virtuellen Realität oder gar im Rapid Prototyping mit 3D-Druck. Skalierbare Ressourcen aus der Cloud stehen neben innovativen KI-Services und permanenter, abgesicherter Kommunikation am Edge.

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Industrial IoT- und Industrie-4.0-Anwendungen sind ohne die Services und die Rechnerressourcen aus der Public Cloud kaum realisierbar.
Industrial IoT- und Industrie-4.0-Anwendungen sind ohne die Services und die Rechnerressourcen aus der Public Cloud kaum realisierbar.
(Bild: Epstudio20 - stock.adobe.com)

Die Pandemie hat den Bedarf an Cloud-Services in verschiedenen Branchen stark erhöht, so etwa in der Telekommunikation (Online-Konferenzen etc.), bei Finanzdienstleistungen (Online-Banking usw.) und sogar im Hochschulwesen, denn die Studierenden durften ja nicht persönlich an den Vorlesungen teilnehmen.

Dass auch die Fertigungsindustrie betroffen ist, mag auf den ersten Blick nicht einleuchten, doch auch sie ist auf geschultes Personal angewiesen, das für eine Corona-Erkrankung anfällig ist. Mitarbeiter, die aus diesem Grund vorübergehend ausfallen, können zwar ersetzt werden, doch diese verfügen unter Umständen nicht über die gleichen Fachkenntnisse wie die Stammbesetzung eines Arbeitsplatzes. Hier können Technologien für Augmented und Virtual Reality (AR/VR) wertvolle Hilfestellung leisten, um aktuell benötigte Informationen in ein digitales Abbild einzublenden oder ganze Abläufe darzustellen.

Michael O’Connell, Chief Analytics Officer bei Tibco, fasste seine Beobachtungen zusammen: „Während der Pandemie mit landesweiten Lockdowns wurden Fabriken und Produktionsanlagen vermehrt aus der Ferne gemanagt. Dabei wird das Betriebspersonal via sogenannter ‚Over-the-Shoulder Assistance (OTS)‘ unter Einsatz von Augmented Reality (AR) durch Spezialisten aus der Ferne unterstützt.“ Das erfordere allerdings umfangreiche Integrationen zwischen Systemen und Anwendungen durch die Entwicklung von APIs, die als Dienste bereitgestellt würden. Er sagt u.a. voraus: „Mehr und mehr Fertigungsunternehmen werden digitale Zwillinge zur Optimierung von künstlicher Intelligenz nutzen.“

Produktionen sollten sich mit Cloud-Services anfreunden

In der gesamten Fertigungsindustrie werde die Einführung von Cloud-Lösungen stark zulegen. Denn die Cloud bringe laut O‘Connell in der Produktion zwei Vorteile: Effizienz im Geschäft und Effizienz in der IT. „Auf der Geschäftsseite werden wir durch das Aufbrechen von Silos und die Einführung neuer Technologien wie KI, IoT, No-Code-/Low-Code-Plattformen und Datenwissenschaft eine bessere Zusammenarbeit im Mittelstand beobachten. In der IT bedeutet mehr Cloud einen geringeren Bedarf an IT-Infrastrukturen on-premises und niedrigere Instandhaltungskosten oder umgekehrt mehr Effizienz.“

Die Digitalisierung des Produktlebenszyklus (PLM) kann laut McKinsey und PTC Einsparungen bei den Erzeugungskosten von bis zu 9 Prozent ergeben.
Die Digitalisierung des Produktlebenszyklus (PLM) kann laut McKinsey und PTC Einsparungen bei den Erzeugungskosten von bis zu 9 Prozent ergeben.
(Bild: © PTC/Matzer)

Viele dieser neuen Produktionsmodelle sind bereits seit Jahren im Einsatz, so etwa digitale Zwillinge, Augmented Reality, IoT und die Fernsteuerung von Fertigungsanlagen in einer Smart Factory. In allen diesen Disziplinen fallen indes große Datenmengen an und die Latenz der Datenübertragungen muss sehr gering sein. Die erste Lösung für diese Herausforderungen sind Private Clouds im lokalen Rechenzentrum oder bei einem Managed Service Provider.

Um weitere Services aus der Public Cloud zu nutzen, sind erhöhte Sicherheitsanforderungen zu beachten. Deshalb lassen sich Public Cloud Services on-premises nutzen, wenn ein Cloud Stack verwendet wird: AWS Outposts, Azure Stack und Cloud Stack erfreuen sich vor diesem Hintergrund einer hohen Nachfrage.

Smart Infrastructure verbindet Datensilos

Die Anzahl der mit dem Internet verbundenen Endgeräte nimmt im Internet der Dinge (IoT) laufend zu und wird schätzungsweise im Jahr 2030 die Marke von einer Billion Geräten erreichen. Selbst in einem mittelgroßen Firmengebäude, das nur etwa 60 Sensoren für Klimaanlage, Beleuchtung und Stromversorgung aufweist, fallen pro Tag rund 500 MB Daten an – Tendenz steigend.

Die Daten landen meist in Datensilos, die nichts voneinander wissen. Möchte man wie bei der Siemens-Tochterfirma „Trends and Industry Affairs“ (TIA) auch nur zwei Parameter verknüpfen, ist ein hoher Aufwand an Spezialprogrammierung notwendig, berichtet Peter Loeffler, der Vice President von TIA. „Möchte man beispielsweise, dass die Klimaanlage Zugriff auf das Zugangskontrollsystem erlangt, damit sie ihren Betrieb je nachdem regelt, ob ein Konferenzraum gerade genutzt wird oder nicht, dann ist das Verbinden der beiden Datensilos nicht so ohne weiteres möglich.“ Eine bedarfsorientierte Klimasteuerung und Beleuchtung würden eine Menge Energie einsparen.

Die Lösung, die TIA für Siemens Smart Infrastructure entwickelte, bestand aus nichts Geringerem als einem digitalen Zwilling eines solchen Industriegebäudes: „Building Twin from Siemens“. Der Digital Twin umfasst nicht nur sämtliche materiellen Bestandteile des Gebäudes, sondern auch Betriebsparameter wie etwa Tag- oder Nachtbetrieb, Belegung, Strombedarf, Temperaturen usw.

Inzwischen ist Siemens dazu übergegangen, ganze Kraftwerke als digitale Zwillinge nachzugestalten. Das bietet beispielsweise den Vorteil, Wissen zu demokratisieren: „Nicht nur können Fachingenieure darauf zugreifen, um das Modell zu verändern, sondern auch alle anderen Mitarbeiter, die diesbezüglich eine gute Idee haben“, berichtet Peter Loeffler. Binnen vier Monaten erstellte sein Team zudem eine erste Zugangskontroll-App, die die Zugangsdaten der Smartphones von Mitarbeitern in einem Firmengebäude verwendete.

Für den Building Twin verwendet Siemens Smart Infrastructure die Graph-Datenbank Amazon Neptune, skalierbare Rechenkapazität aus Amazon EC2, AWS Lambda für Stateful-Funktionen wie etwa Auslöser, wenn sich etwas ändert, und schließlich Amazon AppStream 2.0 für das Streaming von Anwendungen. „Weil es so leicht ist, mit AWS Daten zu erfassen und zu modellieren, werden viel mehr Mitarbeiter in die Lage versetzt, neue Geschäftsanwendungen zu erstellen, ohne dafür detaillierte Kenntnisse besitzen zu wissen, wie sie Zugangskontrollstationen, Bluetooth-Sender, Bewegungsmelder und andere Datenquellen anschließen müssen“, sagt Loeffler.

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Assistenz aus der Cloud mit AR & VR

Die Volkswagen Gruppe beschleunigt mit der Cloud die Vorbereitung von 3D-Daten für Augmented & Virtual Reality und das Remote Rendering für VR. Damit spart VW Kosten und steigert die Leistung für Anwendungsfälle wie Entwurfsprüfungen, Trainingssimulationen bis hin zu entfernter AR-Mitarbeiterführung aus der Cloud. Um seine 3D-Modelle schneller und leichter optimieren zu können, automatisierte VW seine Vorbereitungs-Pipelines für dreidimensionale Daten. Um testen zu können, ob sich 2D- und 3D-Grafiken auch auf Headsets streamen lassen, wurde ebenfalls die Cloud genutzt, was es erlaubte, kabelgebundene Headsets auszurangieren. Die nötige 3D-Rechenleistung lieferten vor allem EC2-Instanzen, die auf Nvidia-T4-GPUs basieren, und auf dem Nvidia-Streamingprotokoll Nvidia Cloud XR, das das Echtzeit-Streamen von VR-Daten auf Endgeräte wie Headsets unterstützt.

Mithilfe verschiedener AWS-Dienste gelang es VW, das sogenannte Innoactive Portal zu erstellen, das die Software der Firma Innoactive nutzt. Damit lassen sich VR-Apps ausspielen und verwalten. Das Portal nutzt u.a. den Amazon Elastic Container Service (ECS) von AWS, um Container-Apps zu deployen, zu verwalten und zu skalieren. „Für uns ist es leicht und effektiv, AWS zu verwenden, denn AWS bietet so viele native Services, die unsere Ziele und Architekturentwürfe unterstützen“, sagt Jan-Paul Brückmann, Product Owner, Volkswagen Digital Realities Hub.

Additive Fertigung nutzt ML-Algorithmen

In der Additiven Fertigung, die auch als 3D-Druck bezeichnet wird, wird intensiv Machine Learning genutzt, um die Iterationen zu optimieren, mit deren Hilfe die optimale Form und die erforderlichen Eigenschaften eines neuen 3D-Produkts zu ermitteln. Dieser Iterationsprozess kann mitunter sehr zeitaufwändig und daher kostenintensiv sein. Daher greifen Design-Unternehmen wie Edera Safety in Österreich gerne auf Rechenkapazitäten der Public Cloud zurück, um den Prozess zu beschleunigen, aber auch, um 3D-Modelle zu visualisieren. Edera Safety stellt mit sogenanntem „Generativem Design“ Schutzmaterial etwa für Ellenbogen her.

Additive Fertigung bringt Produkte hervor, die sich sehr vom Ausgangsmodell unterscheiden können. Sie werden in einer Cloud-gestützten Design-Software mit KI-Einsatz erzeugt.
Additive Fertigung bringt Produkte hervor, die sich sehr vom Ausgangsmodell unterscheiden können. Sie werden in einer Cloud-gestützten Design-Software mit KI-Einsatz erzeugt.
(Bild: © PTC/Matzer)

Autodesk, der Pionier für CAD/CAE-Software, ist schon relativ lange mit 3D-Druck und Generativem Design befasst. Auch hier spielen die Iterationen für die Simulation neuer Produkte im Rechner eine zentrale Rolle. Mithilfe von Machine Learning-Algorithmen, die Autodesk mit Amazon SageMaker entwickelt und testet, können die Produktdesigner Tausende von Iterationen ausführen, durchsuchen und das optimale Design auswählen. Das Produktdesign mit Rapid Prototyping bleibt nicht mehr der Intuition und Erfahrung eines Ingenieurs überlassen, sondern wird zu einer schnellen und effizienten Folge von Produktionsschritten – auch wenn die Ergebnisse manchmal überraschen.

Smart Product Simulation mithilfe des digitalen Zwillings

Wie oben erwähnt, nutzt Siemens Smart Infrastructure Digital Twins in der Gebäudeverwaltung und -gestaltung. Kunden von PTC entwerfen Maschinen, Fahrzeuge, Rennräder und Mountainbikes am Rechner mithilfe verschiedener Softwarelösungen wie Creo, Thingworx und Windchill. Das hat mehrere Vorteile, u.a. die intelligente Produktsimulation.

PTC schreibt: „Digitale Zwillinge bzw. ‚Digital Twins‘ entfalten ihren Wert im gesamten Produktlebenszyklus, von der Konstruktion über den Betrieb bis hin zum Service. Hersteller können das Verhalten des physischen Produkts besser verstehen und vorhersagen. Zudem ermöglichen Digital Twins eine kontinuierliche Überwachung und Predictive-Maintenance-Daten, um die Effizienz des Produkts zu verbessern, ungeplante Ausfallzeiten zu vermeiden und Service-basierte Modelle zu ermöglichen.“ Ein gutes Beispiel hierfür ist der PTC-Kunde Volvo in Schweden. Der Autohersteller nutzt Creo für das Design, Thingworx für IIoT (Industrial Internet of Things), die Software Windchill für das Product Lifecycle Management (PLM) und für Augmented Reality schließlich Vuforia Studio.

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Industrial Edge & Smart Factory

Der Autohersteller Audi hat zusammen mit dem Chiphersteller Intel einen Proof of Concept erstellt, um die Qualität seines Presswerks zu verbessern. Je weniger Fehler beim Pressen von Karosserieblech auftreten, desto geringer der Ausschuss und desto höher die Produktivität. Mithilfe des Einsatzes von Intels Softwarelösung „Edge Insight for Industrial“ ist es den Ingolstädtern gelungen, die Qualität des Pressprozesses um 30 bis 50 Prozent zu erhöhen.

Intels Lösung Edge Insights for Industriel erlaubt Echtzeitanalyse und -prüfung von Werkstücken.
Intels Lösung Edge Insights for Industriel erlaubt Echtzeitanalyse und -prüfung von Werkstücken.
(Bild: © Intel)

Die Intel-EII-Lösung besteht aus zahlreichen Komponenten, bei denen Cloud-Services seitens MS Azure zum Einsatz kommen, während die Machine-Learning-Seite von Intel stammt. Eine Video-Software wertet erfasste Werkstücke mit Optik und Machine Learning auf Fehler hin aus und schlägt ggf. Alarm, sobald mehrere Fehler auftreten – die entsprechende Zeitreihenanalyse ermöglicht dies. Die komplette Lösung ließe sich zwar teilweise on-premises in Docker-Containern betreiben, so etwa der zentrale Video Analytics Container. Doch die Updates kommen „over the air“ von MS Azure IoT Edge, die Opensource-IoT-Plattform Thingsboard oder den IoT-Lösungsanbieter Telit.

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