Serie: Alternative Cloud-Anbieter (Teil 12) Scaleway-CEO legt nach: „Gaia-X schützt die europäischen Interessen nicht“
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Der französische Cloud-Provider Scaleway hat seine Teilnahme am europäischen Gemeinschaftsprojekt Gaia-X spektakulär abgesagt, alternativ will er beim Open Internet Project mitmachen. Wir sprachen mit dem CEO Yann Lechelle, der kein gutes Haar an Gaia-X lässt.

Im zehnten Teil unserer Serie zu gangbaren Alternativen zu den drei Hyperscalern AWS, Google und Microsoft hatten wir Cloud-Provider – Plusserver, T-Systems und Leaseweb – vorgestellt, die trotz Gegenwind an den Zielen von Gaia-X festhalten wollen. In diesem zwölften Teil stellen wir mit Scaleway einen Anbieter vor, der gerade seinen Austritt aus Gaia-X verkündet hat.
Das Unternehmen entstand bereits 1999 und unterstützt praktisch jede Infrastruktur. Das Cloud-Ökosystem des Unternehmens ist in Paris, Amsterdam und Warschau lokalisiert und wird von mehr als 25.000 Unternehmen genutzt. Kunden haben die Möglichkeit, ihre Daten entweder auf Bare-Metal-, Containerisierungs- oder Serverless-Architekturen zu speichern.
„Scaleway wird seine Mitgliedschaft bei Gaia-X nicht erneuern. Obwohl die Ziele des Verbandes ursprünglich nobel waren, werden diese durch ein Polarisierungsparadoxon verlangsamt und verlagert, das für Ungleichgewichte im Markt sorgt. Scaleway wird seine Zeit, Geld und Aufmerksamkeit auf sein Multi Cloud-Produktangebot konzentrieren – einen Schlüsselfaktor für echte Flexibilität und Offenheit“, so Yann Lechelle, CEO von Scaleway Ende vergangenen Jahres.
CEO Yann Lechelle legt nach
Und heute, über ein halbes Jahr nach dem Ausstieg? Würde er es wieder so machen? „Die Entscheidung, Gaia-X zu verlassen, wurde durch eine Reihe objektiver Gründe motiviert, einschließlich der Tatsache, dass Gaia-X sich – soweit wir wissen und sehen können - überhaupt nicht mit technologischer Souveränität befasst, sondern vielmehr darauf fixiert ist, Datensouveränität über ‚Datenräume‘ auf primär nicht-souveränen Technologien irgendwie funktionieren zu lassen“, so Lechelle gegenüber CloudComputing-Insider.
Scaleway war Gründungsmitglied des von Deutschland und Frankreich initiierten Projektes, das ursprünglich als europäische Antwort auf die von amerikanischen und chinesischen Akteuren dominierte Cloud Computing-Landschaft konzipiert war. Gaia-X hatte es sich zum Ziel gesetzt, europäischen Unternehmen, Organisationen und Bürgern zu ermöglichen, die Kontrolle über ihre Daten zu behalten.
Nach der Ankündigung, dass auch diverse amerikanische Provider an dem Projekt teilnehmen dürfen – wiewohl Gaia-X sich ja explizit gegen deren Geschäftspraktiken wendet – wurde dieses Ziel zweifelhaft. Das sieht auch Lechelle so: „Scaleway ist ein bescheidener Hyperscaler, der sich auf die Entwicklung der besten europäischen Cloud-Alternative in einem Multi Cloud-Kontext konzentriert. Wir haben Hunderte, wenn nicht Tausende von wertvollen Stunden sowie 45.000 Euro an jährlichen Mitgliedsbeiträgen gespart“, sagt der Geschäftsführer.
„Ich glaube, unsere Kunden sind uns dafür dankbar. Deshalb: Ja, wir würden es wieder tun, und wir hätten wahrscheinlich sogar früher gehen sollen. Im Nachhinein würde ich argumentieren, dass Gaia-X seinen deutschen Gründungsideen rund um Datenräume treu bleiben sollte, und zwar, ohne die Anwesenheit oder den Einfluss von Cloud-Lösungsanbietern auf seinen Vorstand zu akzeptieren. Die Anbieter sollten nicht mal als Mitglieder akzeptiert werden.“
Open Internet Project statt Gaia-X?
Im Juni dieses Jahres teilte Scaleway mit, dem Open Internet Project (OIP) beitreten zu wollen. Dabei handelt es sich um einen europäischen Verband, der „ein ausgewogenes Wettbewerbsumfeld auf dem Cloud-Markt“ anstrebt.
Quentin Adam, Vorsitzender des OIP, unterstrich denn auch erwartungsgemäß die Souveränität, die die OIP-Mitglieder genießen würden: „Ich bin sehr erfreut darüber und fühle mich geehrt, dass Scaleway unserem Verband Vertrauen geschenkt hat und dass wir unsere Vorhaben nun zusammen mit diesem herausragenden französischen Cloud-Unternehmen angehen können“, so Adam. „Scaleway ist einer der führenden Cloud-Anbieter in Frankreich und wir stimmen mit unseren Analysen des Marktes und seiner Probleme überein; zusammen sind wir in der Lage, die Bedeutung einer souveränen europäischen Cloud-Industrie zu fördern.“
Die Datenhoheit ist nur ein winziger Teil der digitalen Souveränität.
Lechelle seinerseits versprach, „ein faires und ausgewogenes Wettbewerbsumfeld zu fördern.“ Anwender, Entwickler und IT-Entscheider benötigten „Wahlfreiheit im Rahmen nachhaltiger finanziellen Bedingungen“ sowie Unabhängigkeit und technische Resilienz. „So kann das europäische Cloud-Ökosystem sein Wettbewerbspotenzial und seine technologische Exzellenz entfalten, ohne den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung oder groß angelegte wettbewerbswidrige Praktiken befürchten zu müssen.“
Lechelle will den Beitritt zur OIP aber nicht als „Ersatz“ für die Teilnahme an Gaia-X gewertet sehen: „Das ist es nicht wirklich. Wir sind sowohl Euclidia, von dem wir ebenfalls Gründungsmitglied sind, als auch dem OIP aus Gründen beigetreten, die von Gaia-X überhaupt nicht abgedeckt werden. Zunächst Euclidia, weil es sich auf die Förderung europäischer Cloud-Technologien konzentriert – Gaia-X zielt ja nicht darauf ab, irgendeine Technologie zu fördern, sondern eher Standards –, und das OIP vor kurzem, weil es sich auf die Förderung des freien und unverzerrten Wettbewerbs auf digitalen Märkten konzentriert.“
Gaia-X sei Blendwerk
Vielen scheinen die Ziele von Gaia-X und OIP jedoch identisch zu sein: Souveränität der Daten und damit für europäischer Firmen. Das verneint Lechelle aber vehement: „Die Datenhoheit ist nur ein winziger Teil der digitalen Souveränität, sie bietet nur einen gewissen Schutz für kritische Daten, seien es personenbezogene oder industrielle Daten. Sie bietet keine strategische Autonomie in Bezug auf Software und Infrastruktur. Daher schützt der enge Ansatz von Gaia-X die europäischen Interessen nicht. Das ist besonders schlimm, weil dies allgemein von Gaia-X erwartet wird. Die EU-Staaten und die EU-Unternehmen müssen sich um eine Verbesserung ihrer strategischen Autonomie bemühen; derzeit haben sie wenig bis gar keine.“
Sind nach dem Beitritt zu Euclidia und OIP noch weitere Schritte von Scaleway hin zu mehr Souveränität für Kunden zu erwarten? „Ja“, so Lechelle. „Wir sind der Meinung, dass die Kunden einen Multi-Cloud-Ansatz verfolgen müssen, der den üblichen Multi-Sourcing-Praktiken jeder seriösen Einkaufsabteilung entspricht. Ein Kunde möchte vielleicht mit einem führenden US-Cloud-Anbieter zusammenarbeiten, ist aber gut beraten, auch mit einem regionalen Cloud-Anbieter zu kooperieren oder zumindest zu wissen, wie man mit ihm zusammenarbeitet.“
Dies böte einen zusätzlichen Preisvorteil, Redundanz, ergänzende Funktionen, regulatorische Vorteile usw.: „Eine massenhafte Einführung von Multi-Sourcing/Multi-Cloud würde unweigerlich zu einem Anstieg des Marktanteils regionaler Anbieter führen, was wiederum eine größere technologische und datenbezogene Souveränität zur Folge hätte.“
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