Dezentrale Infrastrukturen für technische Unabhängigkeit Digitale Souveränität heißt Handlungsfreiheit gewinnen

Ein Gastbeitrag von Dr. Stefan Sigg* |

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Verbraucher wie Unternehmen treibt bei der Diskussion um die Nutzung von Daten dasselbe Thema um: Wie können sie die Souveränität über ihre Daten bekommen – oder behalten? In jeder Debatte um digitale Souveränität ist das aber der eigentliche Kern.

Dezentrale, heterogene Systeme, die auf offene Zusammenarbeit, die Integration unterschiedlicher Komponenten und damit auf eine Interoperabilität unterschiedlicher Welten setzen, sind die Basis technischer Souveränität.
Dezentrale, heterogene Systeme, die auf offene Zusammenarbeit, die Integration unterschiedlicher Komponenten und damit auf eine Interoperabilität unterschiedlicher Welten setzen, sind die Basis technischer Souveränität.
(Bild: Dilok - stock.adobe.com)

Wir leben in einer Zeit, in der Unternehmen ein Gefühl von Unsicherheit beschleicht: Die internationale Entwicklung, anhaltende Probleme der weltweiten Lieferketten und nun noch die Energieprobleme – all das sind Themen, die kaum jemand aktiv beeinflussen kann.

In der digitalen Welt geht es um einen anderen, nicht weniger zentralen Rohstoff: Daten, die in der Cloud oder „on premises“ gespeichert werden, um dann von Algorithmen verarbeitet und für die weitere Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Doch welche Daten werden überhaupt gespeichert, wofür werden sie genutzt, und wem gehören sie eigentlich?

Angesichts der Unsicherheiten auf der einen Seite und der Bedeutung von Daten für die Digitalisierung und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle auf der anderen, ist der Wunsch verständlich, die Kontrolle über die eigenen Daten zurückzugewinnen – oder überhaupt erst einmal zu bekommen. Das ist, im Kern, die Debatte um digitale Souveränität.

Digitale Souveränität gibt die Kontrolle (zurück)

Digitale Souveränität bedeutet die Freiheit, den eigenen digitalen Fußabdruck zu kontrollieren – einschließlich der Möglichkeit, diese Daten auch weiterzugeben und zu vermarkten oder umgekehrt ihre Nutzung einzuschränken oder ganz zu unterbinden.

Das ist allerdings mehr, als der eher technische Begriff der Kontrolle suggeriert; im Grunde geht es bei der digitalen Souveränität um politische und rechtliche Entscheidungen. Souveränität im politischen Sinne ist eine Dimension der grundlegenden Menschenrechte, digitale Souveränität eine Teilmenge davon und der Grund, warum sich auch der europäische Gesetzgeber, die EU, um diese Frage kümmert.

Aber die Politik braucht oft sehr lange, um zu regulieren, was geregelt werden muss. Das gilt auch hier – trotz DSGVO oder diverser Abkommen mit den USA und anderen Wirtschaftsgebieten, mit denen wir Daten freiwillig (oder unfreiwillig) austauschen.

Mesh statt Knoten: Souveränität im Netzwerk

So gibt es beispielsweise auch eine anhaltende Debatte darüber, ob die Souveränität Europas europäische Cloud-Anbieter erfordert. Gaia-X ist ein Projekt, um eine solche souveräne Cloud zu schaffen. Das Projekt einer europäischen Cloud könnte aber auch ein Ausweg aus den lang andauernden Bemühungen sein, die digitale Souveränität Europas juristisch und politisch zu regeln – über eine Form von Dezentralisierung, die im Grunde die Keimzelle des Internets ist, das wir heute kennen.

Statt eines zentralen Hubs ist die Grundidee des Internetprotokolls IP, Datenpakete über eine Vielzahl von Knotenpunkten und Leitungen zu verschicken. Fällt einer aus, übernimmt ein anderer. Es ist die Idee von Mesh, also eines echten Netzes. Initiativen wie Gaia-X und verschiedene Datenräume greifen diese Idee auf und erlauben einen Punkt-zu-Punkt-Datenaustausch ohne zentralen Hub.

Es ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was das Netz heute ausmacht: Hier dominieren die großen Inhalteanbieter wie Meta, Google oder Amazon das Netz; der meiste Traffic läuft über ihre Plattformen – und wird von ihnen kontrolliert. Das ist zwar historisch gewachsen und, über die schiere Marktmacht der Konzerne, auch nicht einfach revidierbar. Aber es ist auch kein Naturgesetz: Es wäre möglich, das Netz über dezentrale Architekturen zu betreiben, und es gibt auch schon einen Namen dafür: Web 3.0.

Doch ob zentral mit Hub-and-Spoke-Architekturen, dezentral über Mesh, Web 2.0 oder 3.0: Es ist selten eine gute Idee, alles auf eine Karte zu setzen. Das gilt für einseitige Abhängigkeiten in den Lieferketten, aber auch bei der Entscheidung für Technologien. One-Vendor-Strategien führen selten zum Erfolg.

Integration und Interoperabilität

Besser sind dezentrale, heterogene Systeme, die auf offene Zusammenarbeit, die Integration unterschiedlicher Komponenten und damit auf eine Interoperabilität unterschiedlicher Welten setzen. Das gilt für das offene Internet ebenso wie für IT-Infrastrukturen. Hier sind es die Multi-Clouds mit einer Integration unterschiedlicher Applikationen verschiedener Anbieter und hybriden Deployments – sei es am Edge, on-premises, in privaten oder öffentlichen Clouds, mit verteilten Datenbanken und Data Lakes.

Aus diesen Komponenten lassen sich IT-Infrastrukturen bauen, die robuster, resilienter und effizienter sind, weil sie Ausfallrisiken minimieren und Verhandlungspositionen stärken. Erfolgskritisch sind dabei das Maß an Offenheit, die Interoperabilität sowie die Integration der einzelnen Komponenten. Die so geschaffenen souveränen IT-Infrastrukturen ermöglichen die Freiheit zum Wechsel nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Ausfallrisiken werden minimiert, Business Continuity ist gewährleistet.

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Auch so könnte man Digitale Souveränität definieren: die Bewahrung von Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit im Krisenfall. Wer sich nicht von aktuellen Entwicklungen beeindrucken oder gar in die Knie zwingen lassen will, sollte ohne übermäßige Abhängigkeiten von außen in der Lage ist, sein Geschäft resilient zu organisieren.

All das sind Facetten von digitaler Souveränität, die in den aktuellen Debatten viel zu wenig zur Sprache kommen. Das ist schade, weil es genau die Punkte sind, die uns – jenseits politischer Entscheidungen – handlungsfähig machen und halten.

* Über den Autor
Dr. Stefan Sigg ist Mitglied des Vorstands der Software AG, verantwortlich für das gesamte Produktportfolio sowie Forschung & Entwicklung. Nach seinem Studium der Mathematik und Physik startete er seine Berufslaufbahn in der Produktentwicklung von SAP, später übernahm er die Leitung der Entwicklung von SAP Business Warehouse, SAP HANA und SAP Analytics.

Bildquelle: Software AG

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