Automotive Clouds Teil 1 – Mercedes-Benz Modernes Autofahren mit Cloud-Services

Von Michael Matzer |

Einen Parkplatz suchen, eine E-Ladesäule finden, einen Stau umfahren, E-Banking machen – all das ist bereits im Auto realisierbar. Die Fahrzeughersteller nutzen die Vorteile der Cloud selbst auf vielfältige Weise, um ihre Betriebskosten zu dämpfen und ihre Partner besser anzubinden. Über die Cloud stellen sie ihren Kunden zahlreiche Services zur Verfügung, die diese in ihren jeweiligen Fahrzeugen direkt nutzen können.

Anbieter zum Thema

Die Ausstattung der PKW mit Head-up Displays (HUD) – hier bei Mercedes-Benz – gehört schon zu den Klassikern elektronischer Zusatzeinrichtungen.
Die Ausstattung der PKW mit Head-up Displays (HUD) – hier bei Mercedes-Benz – gehört schon zu den Klassikern elektronischer Zusatzeinrichtungen.
(Bild: Daimler AG)

Zunächst einmal nützt die Cloud in vielerlei Hinsicht den Herstellern selbst. „Mithilfe moderner Cloud-Technologien können Automobilhersteller schneller, effizienter, kostengünstiger und in besserer Qualität produzieren“, resümiert Constantin Gonzalez, Principal Solutions Architect bei Amazon Web Services (AWS). „Denn durch die Vernetzung von Maschinen, Anlagen und Sensoren lassen sich Daten über die gesamte Produktions- und Lieferkette hinweg in einem gemeinsamen Data Lake zusammenführen und analysieren.“ Das erfolgt seit März 2019 unter anderem in der Industry Cloud der Volkswagen Group. Der Vorteil: „Dies eröffnet neue Möglichkeiten für eine Prozess-übergreifende Transparenz, Kollaboration und Optimierung, von der einzelnen Maschine über den lokalen Standort bis hin zur gesamten Supply Chain.“

Win-win für Hersteller und Kunden

Die Nutzung der Cloud beschleunigt nicht nur das Design und die die Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle, sondern auch die Produktion mithilfe neuester Technologien. „Schon heute“, so Gonzalez weiter, „sehen wir Kunden aus der Automobilbranche mithilfe von IoT, Machine Learning und Big-Data-Methoden in Rekordzeit neue Lösungen für datenbasierte Wartung und Computer-Vision für die Qualitätskontrolle umsetzen, neue Plattformen für den Austausch von Telemetrie und Produktionsdaten aufbauen und die Vernetzung von Fahrzeugen weiter vorantreiben. Sie gewinnen dadurch eine höhere Kosteneffizienz, liefern bessere Qualität und schaffen neue digitale Angebote für ihre Kunden.“ Um diese Angebote wird es in den dieser Artikelserie gehen.

„Cloud-Services helfen Automobilherstellern, sich ganz auf ihre Kernkompetenzen sowie aktuelle Kernthemen wie vernetztes und autonomes Fahren, Elektromobilität und mobile Dienste zu konzentrieren, ohne Ressourcen für die Entwicklung und den Betrieb von Infrastruktur-, Middleware- oder anderen IT-Komponenten aufwenden zu müssen“, erläutert der AWS Solution Architect. Aber es geht nicht nur um die Infrastruktur, die die Cloud bereitstellt; die Kunden haben auch ein Recht auf Sicherheit und Datenschutz.

„Um das zu ermöglichen, müssen Sicherheit und Datenschutz an oberster Stelle stehen“, bestätigt Gonzalez. „Hier profitieren Kunden von unserer jahrzehntelangen Erfahrung, den umfassenden technischen Möglichkeiten für Verschlüsselung und Datensicherheit in der Cloud, sowie der großen Anzahl weltweit anerkannter Zertifizierungen auf nationaler (so etwa C5, IT-Grundschutz), internationaler (PCI-DSS, SOC, ISO) und Branchenebene (TISAX).“

Mercedes-Benz: Vom MBUX zum MB-OS

Apropos Sicherheit: Im Dezember 2021 hat Mercedes-Benz als erster Automobilhersteller weltweit eine international gültige Systemzulassung für das hochautomatisierte Fahren (SAE Level 3) erhalten. Das hochautomatisierte Fahrsystem Drive Pilot soll in 2022 in der S-Klasse und im EQS in Serie gehen. Eine im Januar 2022 verlautbarte Partnerschaft mit dem Lidar-Hersteller Luminar Technologies soll das Niveau der Fahrsicherheit im „hochautomatisierten Fahren“ deutlich anheben, nicht etwa in Spezialfahrzeugen, sondern in der Serienproduktion. Lidar („light detection and ranging“) ist eine dem Radar verwandte Methode zur Fernmessung und erlaubt dreidimensionales Laserscanning, beispielsweise für optische Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen.

Viele Mercedes-Benz-Modelle sind mit einem Navi ausgestattet, das die Verkehrslage in Echtzeit wiedergibt.
Viele Mercedes-Benz-Modelle sind mit einem Navi ausgestattet, das die Verkehrslage in Echtzeit wiedergibt.
(Bild: Daimler AG)

Ein Fahrzeug ist heute eine rollende Software-Plattform und dafür müssen eine große Zahl an Entwicklern gewonnen werden. Mercedes-Benz verlautbarte im Juni 2021, dass es weltweit 3.000 Software Developer in seinen verschiedenen Digital Hubs einstellen wolle. Der Zweck: „Wir planen, langfristig mehr als 60 Prozent der Wertschöpfung im Bereich Software im Auto, auf Cloud-Ebene und bei den IoT-Anwendungen in-house zu erzielen“, äußerte Sajjad Khan, ehemaliger Chief Technology Officer, abgelöst durch den CSO Magnus Östberg. Vor allem eines fehle der Systemplattform Mercedes Benz User Experience (MBUX) noch: ein Betriebssystem namens MB-OS.

Sajjad Khan gibt ein Leistungsziel vor: „Die globalen Experten-Teams arbeiten konsequent daran, ab 2024 ein eigenes, datengestütztes und flexibel updatefähiges Mercedes-Benz Operating System in die Mercedes-Benz Fahrzeuge zu bringen und damit das Fahrzeug intelligent mit der Cloud und der IoT-Welt zu vernetzen. „Diese Beherrschung der Softwareplattform über die Domänen im Fahrzeug bis in die Cloud und in die IoT-Welt sei eine wichtige Grundlage, um zukünftig noch schneller und flexibler auch während des Produktlebenszyklus auf die Bedürfnisse der Kunden nach digitalen Services und erweiterten Produktfeatures zu reagieren. Die Ertragsvorgabe ist ebenso deutlich: „Bis ins Jahr 2025 plant das Unternehmen, mit digitalen Diensten zirka eine Milliarde Euro EBIT zu erwirtschaften.“

Services auf der MBUX-Systemplattform

Das MBUX passt sich mithilfe von Machine Learning an die Gewohnheiten des Nutzers an und lernt kontinuierlich dazu, so etwa mit dem cloud-basierten MBUX Sprach-Assistenten oder der Zero-Layer Technologie, die immer die relevanteste Info auf der ersten Ebene des Displays anzeigt, etwa eine Fahrtroute. Durch künstliche Intelligenz werden zur richtigen Zeit am richtigen Ort entsprechende Menüs auf die erste Menüebene (Zero Layer) stellt, damit der Fahrer mit nur einem Klick den Anruf, eine Sitzmassage, eine Fahrwerksverstellung oder den Ladevorgang starten kann. Die MBUX-Bedienung erfolgt per Sprache, Berührung oder über die intelligente Gestensteuerung.

MBUX ist vernetzt. Es kombiniert Fahrzeug- und Infotainment-Funktionen. MBUX ist immer online und bindet das digitale Leben des Kunden mit ein – von der Smartphone-Integration bis hin zu In-Car Office-Funktionen. Zudem lässt es sich personalisieren. Verschiedene Nutzerprofile für jeden Kunden ermöglichen ein individuelles Nutzererlebnis für verschiedene Zwecke und Anlässe.

Persönliche Interaktion mit Mercedes-Me

Mit der mobilen Mercedes-Me-App findet der Kunde zahlreiche Services. „So kann der Kunde beispielsweise über die App Navigationsziele, Ladestationen oder Point-of-Interest-Ziele direkt ins Fahrzeug senden“, berichtet Pressesprecher Georg Walthart, Global Communications, zuständig für Mercedes me & Infotainment.

Das Infotainmentsystem MBUX von Mercedes-Benz ist mit Services wie Streaming-Musik von Spotify ausgestattet.
Das Infotainmentsystem MBUX von Mercedes-Benz ist mit Services wie Streaming-Musik von Spotify ausgestattet.
(Bild: Daimler AG)

Die Mercedes me App ist für alle Modelle unabhängig der Ausstattung nutzbar. „Je mehr Ausstattung verbaut ist, umso mehr Nutzen hat man“, so Walthart. „Wenn beispielsweise eine Standheizung verbaut ist, kann diese auch über die mobile Mercedes me App gestartet/beendet oder programmiert werden.“ Im MBUX seien ebenfalls Apps verfügbar, jedoch seien sie meist eng in das MBUX System integriert. So werden etwa Wetteranzeigen, Parkplätze, Staus usw. in der Navigationskarte beziehungsweise in der Benutzeroberfläche angezeigt.

Falls das Fahrzeug gestohlen sein sollte, kann der Kunde über den Dienst „Urban Guard“ in der App die Behörde autorisieren, das Fahrzeug zu orten. Parkrempler, welche beim abgestellten Fahrzeug entstehen können, werden in der App als Benachrichtigung angezeigt und auch Bilder der Umgebungskamera zur Verfügung gestellt. Im MBUX kann durch Mercedes me eine Online Suche ganz einfach per Sprache gestartet werden, so zum Beispiel: „Hey Mercedes“…, wo ist die beste Eisdiele in Stuttgart, …Navigiere zum nächsten Supermarkt; … spiele einen Song von den Beatles; …wo finde ich den Verbandskasten…. und vieles mehr.

„Mit Mercedes me“, so Walthart weiter, „werden auch Parkplätze am Straßenrand und in Parkhäusern angezeigt. So zeigen wir mit Hilfe unserer Sensoren am Fahrzeug und der cloud-basierten Aufbereitung freie Parkplätze in den Städten direkt und nahezu in Echtzeit in der Navigationskarte an. Somit ist die Suche nach freien Parkplätzen wesentlich einfacher. Das spart Zeit und Nerven. Außerdem können auch in manchen Städten Parkgebühren direkt und zeitgenau über das MBUX bzw. die Mercedes me App gestartet oder beendet und bezahlt werden. Auch Tankvorgänge (Fuel & Pay) können direkt über das MBUX oder die Mercedes-me-App abgewickelt werden.“

Kunden können in der Cloud natürlich auch zusätzliche Services und Features kaufen. „Im Mercedes me Store können Kunden jederzeit Dienste dazu buchen aber auch Sonderausstattungen an ihren Fahrzeugen nachkaufen“, so Walthart. „Dazu gehört zum Beispiel die Smartphone-Integration (CarPlay/Android Auto), ein digitales Radio, ja, selbst die Winkelerweiterung der Hinterachslenkung.“

Aktuelle Analyse von Gartner

Fünf wichtigste Trends in der Automobiltechnologie 2022

Der Automobilsektor wird sich laut Gartner gut auf die Technologietrends und die digitale Transformation vorbereiten müssen. Software wird den Analysten zufolge zum wichtigsten Wachstumstreiber für die Rentabilität der Automobilhersteller werden.

  • Trend 1: Automobilhersteller überdenken ihre Herangehensweise an die Hardware-Beschaffung: Das Just-in-Time-(JIT)-Prinzip sorgt jetzt dafür, dass beispielsweise bei Chips keine Pufferbestände mehr vorhanden seien. Infolgedessen überdenken die Autobauer ihren Umgang mit den Chipherstellern und erwägen die Entwicklung eigener Chips und die Aufgabe der JIT-Bestandsverwaltung.
  • Trend 2: Digitale Giganten integrieren das Auto in ein ganzheitliches Ökosystem: 2022 werden Techkonzerne wie Amazon Web Services (AWS), Google, Alibaba oder Tencent ihre Präsenz in der Fahrzeugtechnologie kontinuierlich ausbauen und das Auto näher an ihr jeweiliges Ökosystem anbinden, was wiederum neue, mit dem Fahrzeug verbundene Dienste eröffnet. Bis 2028 könnten 70 Prozent der verkauften Fahrzeuge das Betriebssystem Android Automotive verwenden.
  • Trend 3: Offene Daten und Open-Source-Kollaborationsmodelle gewinnen an Schwung: Im Jahr 2021 haben mehrere Technologieunternehmen quelloffene Betriebssysteme für Fahrzeugarchitekturen und offene Plattformen für Elektrofahrzeuge (EV) entwickelt. Dieser Ansatz der Einführung neuer Partnerschaftsmodelle im Automobilsektor wird 2022 zunehmen. Der Zugang zu einer größeren Vielfalt von Daten über den Aufbau und die Integration von Ökosystemen dient dazu, attraktivere Funktionen oder digitale Dienste zu entwickeln.
  • Trend 4: Etablierte Automobilhersteller bauen OTA als ihren wichtigsten digitalen Einnahmekanal aus: Im vergangenen Jahr gab es große Veränderungen auf dem Markt für Over-the-Air-Software (OTA), als mehrere Automobilhersteller begannen, Software-Updates anzubieten. Da die meisten Automobilhersteller die Hardware in den Fahrzeugen aktualisiert haben, um Software-Updates zu ermöglichen, werden sie nun zu einem Umsatzmodell übergehen, das auf Dienstleistungen und nicht auf dem Verkauf von Vermögenswerten basiert.
  • Trend 5: Autonome Fahrzeuge – mehr Regulierung, aber nach wie vor Hürden bei der Kommerzialisierung: Obwohl sich die Sensortechnologien verbessern, die Wahrnehmungsalgorithmen immer ausgefeilter werden und die Vorschriften und Normen fortschreiten, haben die Entwickler von autonomen Fahrzeugen weiterhin Schwierigkeiten, den autonomen Betrieb auf neue Städte oder Regionen auszuweiten. Autonom fahrende Autos der Stufe 3, selbstfahrende Lastwagen der Stufe 4 und kommerzielle Robotaxis stehen in den Startlöchern, aber der Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit der autonomen Technologie dauert jedoch sehr lange, und umfangreiche Simulationen und Praxistests machen die Kommerzialisierung langsam und teuer. Gartner rechnet damit, dass bis 2030 weltweit viermal so viele autonome Robotertaxis der Stufe 4 im Einsatz sein werden wie Taxis im Jahr 2022.

„In den letzten 100 Jahren haben sich die Automobilhersteller auf die mechanische Seite der Fahrzeugentwicklung konzentriert und die Software größtenteils anderen Parteien überlassen“, sagte Pedro Pacheco, Senior Research Director bei Gartner. Doch digitale Technologie werde zunehmend zum Unterscheidungsmerkmal. Daher sollte es das Ziel der Erstausrüster (OEMs) sein, sich in Technologie- oder Softwareunternehmen zu verwandeln.

(ID:48030684)