XI, XU, GB, UK, EU - das sind nicht die einzigen Verwirrungen Ein Drama in Akten: Der Brexit und die SAP-Systeme

Von Torsten Knapp*

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Was Unternehmen zu Intrastat, Zollanmeldung, Nordirland und weiteren Besonderheiten jetzt wissen und in ihrem SAP-System umsetzen müssen, hat Torsten Knapp, Director ERP Services bei Syntax, aufgeschrieben.

Noch immer müssen sich die Unternehmen mit den Folgen des Brexit auseinandersetzen; das gilt insbesondere für Anpassungen in den SAP-Systemen.
Noch immer müssen sich die Unternehmen mit den Folgen des Brexit auseinandersetzen; das gilt insbesondere für Anpassungen in den SAP-Systemen.
(Bild: gemeinfrei© Reimund Bertrams / Pixabay)

Ob ihre SAP-Systeme Brexit-konform sind, ist für Unternehmen auch nach mehr als einem halben Jahr nach dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU eine kaum zu beantwortende Frage; denn es herrscht nach wie vor viel zu viel Ungewissheit. Zwar sind die Staus an der Grenze und die deutlich verzögerten Warenlieferungen vom Jahresanfang inzwischen Vergangenheit, trotzdem gibt es kontinuierlich Änderungen im Ablauf und Präzisierungen des 1.246 Seiten starken Handelsvertrags.

SAP-Systeme können deshalb auch nur nach und nach umgestellt werden, da sich der Nebel der Unklarheit eben nur langsam lichtet. Was müssen Unternehmen jetzt beachten?

Das Vereinigte Königreich ist seit dem 1. Januar kein Mitglied der Zollunion oder des EU-Binnenmarkts mehr und zählt damit als Drittland. Deshalb sind steuerpflichtige grenzüberschreitende Transaktionen zwischen EU und GB (England, Schottland und Wales) als Ein- und Ausfuhren klassifiziert und werden wie Transaktionen mit anderen Drittländern behandelt. So weit, so klar. Sonderfälle sind Nordirland und Gibraltar, für die separate Regelungen vereinbart wurden.

Dank des Handelsvertrages hat UK zwar einen zollfreien Zugang zum größten Wirtschaftsraum der Welt, trotzdem müssen Exporteure Zollpapiere ausfüllen und zahlreiche weitere Papiere beilegen: Erklärungen über die Herkunft der Produkte, Veterinärbescheinigungen, Zertifikate über Produktstandards und vieles mehr. Stichprobenartige Kontrollen an der Grenze sind nun ebenfalls Alltag.

Und nur Waren, bei denen genügend Wertschöpfung und Produktionsschritte im Vereinigten Königreich anfallen, werden überhaupt als zollfreier Export akzeptiert. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass Waren etwa aus den USA oder anderen Ländern unverzollt in die EU gelangen.

Das Nordirland-Protokoll

Ein großer Sonderfall, der nicht zuletzt Auswirkungen auf die Einstellungen im SAP-System hat, ist Nordirland, beziehungsweise das Nordirland-Protokoll. Es hatte zum Ziel, Kontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland zu verhindern, um den fragilen Friedensprozess auf der irischen Insel durch den Brexit nicht zu gefährden. Deshalb gelten für Nordirland trotz Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich weiterhin die Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion – im Gegensatz zum Rest des Vereinigten Königreichs. Damit gehört Nordirland zwar zum Zollgebiet Großbritannien, wird zollrechtlich von der EU aber wie ein EU-Land behandelt.

Was bedeutet das für Unternehmen? Zum Beispiel müssen sie die ISO-alpha2-Codierung für elektronische Zollanmeldungen für Nordirland auf „XI“ festlegen – und entsprechend im SAP-System hinterlegen. Das Vereinigte Königreich (ohne Nordirland) behält hingegen weiterhin den Code „GB“. Was schnell für Verwirrung sorgen kann: Das „XI„“ gilt nur für die Zollanmeldung, ansonsten fällt Nordirland unter das Länderkürzel „GB“ – unter anderem auch bei der Intrastat-Meldung. Und die Kennung „XU“ für das Vereinigte Königreich (ohne Nordirland) ist bei Zollanmeldungen überhaupt nicht zulässig.

Nordirische Unternehmen erhalten für den Warenverkehr mit den Mitgliedstaaten der EU eine XI-Umsatzsteuer-Identifikationsnummer – bestehend aus dem Präfix „XI“ sowie den numerischen Ziffern der vorhandenen GB-Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Deshalb können für nordirische Unternehmen zwei Umsatzsteuer-Identifikationsnummern parallel verwendet werden. Gut zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass die XI-Umsatzsteuer-Identifikationsnummern für Nordirland getrennt von anderen Umsatzsteuernummern in einem neuen SAP-Feld gespeichert werden.

Intrastat-Meldungen für Warenströme

Warentransaktionen zwischen einem in Nordirland steuerpflichtigen Unternehmen und einem innerhalb der EU sind als innergemeinschaftlich, also steuerbefreit, zu kennzeichnen und als solche in der Intrastat- und der zusammenfassenden Meldung anzuzeigen. Intrastat ist eine monatliche Handelsstatistik, die den Warenfluss innerhalb der EU beziehungsweise für das Vereinigte Königreich (UK) den Warenfluss innerhalb des UK auswertet. Warenbewegungen und Lieferungen von Nordirland nach Großbritannien gelten nun als Export und sind somit nicht mehr für die Intrastat in der EU relevant.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: Lieferungen nach Nordirland müssen nach wie vor als innergemeinschaftliche Warenbewegung erfasst werden – und zwar bis mindestens ins Jahr 2025 oder solange das Nordirland-Protokoll existiert. Das ist wichtig, weil für den Handel zwischen Nordirland und der EU keine Zollerklärung notwendig ist.

Für Unternehmen in UK gelten wiederum andere Vorgaben für ihre Intrastat-Meldung. Für Waren, die 2021 aus der EU importiert werden, muss diese Meldung nach wie vor erfolgen, und bis 31.12.2021 ist eine Intrastat-Meldung für den EU-Import und -Export ab bestimmten Warenwerten nötig. Für den Handel zwischen Nordirland und GB hingegen entfällt eine Intrastat-Meldung in UK.

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Sonderabwicklung für Großbritannien und Nordirland in SAP

SAP hatte bisher für England, Schottland, Wales und Nordirland das Länderkürzel „GB“ vergeben. Da es nun aber zwei unterschiedliche Regelungen für Großbritannien und Nordirland gibt, müssen beide separat abgewickelt werden können. Die REGION ist in SAP nun das zentrale Schlüsselelement, um zu ermitteln, ob sich eine Transaktion auf Nordirland innerhalb von Großbritannien bezieht oder in der EU.

SAP unterstützt diese neue Regionslogik zur Länderermittlung und steuert damit zwei verschiedene Regelungen. Mithilfe mehrerer „SAP-OSS“-Hinweise für „S/4HANA“ und „SAP ECC“ sorgt SAP dafür, dass die Intrastat-Meldungen korrekt erfolgen können. Dazu ist es allerdings wichtig, alle diesbezüglichen SAP-Hinweise korrekt einzuspielen.

Torsten Knapp: „Auch die Stammdaten müssen jetzt noch besser erfasst und gepflegt werden als früher.“
Torsten Knapp: „Auch die Stammdaten müssen jetzt noch besser erfasst und gepflegt werden als früher.“
(Bild: Syntax)

Und da der Prozess in SAP noch nicht abgeschlossen ist, sollten alle betroffenen Unternehmen präzise den SAP-Hinweisen folgen. Es kann immer noch zu Veränderungen kommen, da die gesetzlichen Vorgaben so allgemein und im Detail unpräzise waren, dass sie nur nach und nach umgesetzt werden können.

Zudem müssen Stammdaten jetzt noch besser erfasst und gepflegt werden als früher. Ein Beispiel: Ursprungsnachweise spielen im Zuge des Handels zwischen Unternehmen aus der EU und UK eine deutlich größere Rolle und werden geprüft. Unternehmen wissen oft gar nicht, woher ein geliefertes Produkt tatsächlich stammt. Die Angabe des Sitzes des Lieferanten ist aber heute nicht mehr ausreichend.

Strafen dohen

Hinzu kommen zahlreiche Papiere, Informationen und Nachweise für die Aus- und Einfuhr. Datenerfassung und die Pflege im SAP-System werden damit zum zentralen Thema. Denn es drohen teils empfindliche Strafen. Egal, ob die Zollabwicklung über „SAP GTS“ oder über SAP ERP ohne GTS läuft, Unternehmen sind zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen verpflichtet. Dabei sind das Erfassen, Prüfen und Pflegen von Stammdaten nur ein erster Schritt.

Genauso wichtig ist ein sauberes Dokumenten-Management, das konform gestellte Rechnungen und das korrekte Hinterlegen von Zertifikaten, Urkunden, Nachweisen und Ähnlichem gewährleistet. Zuletzt dürfen sie nicht vergessen, Nordirland die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer „XI“ als Präfix zuzuweisen und Rest-Großbritannien das Kürzel „GB“.

Der Brexit wird Unternehmen noch lange beschäftigen und immer wieder zu Anpassungen des SAP-Systems führen. Denn hier gibt es immer wieder wichtige Änderungen, die zeitnah umgesetzt werden müssen. Deshalb empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Brexit-Experten, die die SAP-Hinweise durchleuchten und in den SAP-Systemen umsetzen.

Damit das SAP-System Brexit-konform läuft und es eben nicht mehr zu langen Staus wie Anfang des Jahres kommt – und schlimmstenfalls hohe finanzielle Schäden entstehen, weil Produkte wegen fehlerhafter Papiere nicht geliefert werden konnten. Der Brexit und SAP – eine vermutlich nicht unendliche Geschichte, aber eine, die viele Unternehmen noch lange intensiv beschäftigen wird.

* Der Autor Torsten Knapp ist Director ERP Services bei Syntax.

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