EuroCloud-Vorstand äußert sich kritisch Wer die Digitalität fordert, darf Europa und die Europäer nicht vergessen
Die Herausforderung bei der Digitalität ist gar nicht so sehr eine technische, als vielmehr eine gesellschaftliche und wettbewerbspolitische, meint EuroCloud-Vorstand Thomas von Bülow und erklärt, warum.
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Als ich 2013 in einem Vortrag die Büchse der Pandora bemühte, um die Folgen einer Kombination von Cloud und BDA (Big Data Analytics) darzustellen, bekam ich nur wenig Zustimmung. Dennoch: Die Digitalität erinnert an Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte.
Auf die Digitalität verzichten werden wir ebenso wenig wie einst auf den Gebrauch des Feuers. Ist die Büchse erst geöffnet, kann sie nicht mehr geschlossen werden. Allerdings ist noch längst nicht ausgemacht, ob die Digitalisierung unser Haus wärmt oder verheert. Was geschieht, liegt einzig und allein an uns. Was ist zu tun?
Politischen Willen formulieren
Eigentlich eine Binse: Wenn die Digitalität Europa zugutekommen soll, muss sich Europa für eine europäische Digitalität stark machen. Mit Günther Oettinger kann ich nur fordern: Europa braucht die Digitalunion! Was heißt das konkret?
Wir brauchen eine Einstellung pro Cloud Computing und BDA. Wir brauchen natürlich in der Breite ein deutlich besseres Verständnis von Chancen und Risiken und wir müssen den Optimierungspfad als politischen Willen formulieren. Deutschland und Frankreich sollten ihrer Rolle als Treiber der EU gerecht werden und, gerne mit Unterstützung der baltischen Vorbildländer, einen Vorstoß machen.
Noch haben wir diese Aufbruchsstimmung nicht. Noch sind in Deutschland die Schritte zaghaft. Die wenigsten Unternehmen kennen den Bedarf an Bandbreite, die Menge an Daten und die Relevanz des zu gewinnenden Wissens aus den Daten der nächsten Jahre. Dennoch steht schon jetzt fest: Dobrindts Breitbandinvestitionen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Unsere nachindustrielle Gesellschaft (21 Prozent industrielle Produktion am BIP) verändert sich radikal. Viele traditionelle Geschäftsmodelle sind bereits überholt und technologische Umbrüche finden in mooreschem Tempo statt. Wollen sie im globalen Wettbewerb bestehen, haben Deutschland und Europa gar keine andere Chance, als disruptive Technologien schneller zu adaptieren.
Die Adaption muss neu geregelt, aber nicht reguliert werden!
Disruptive Technologien verändern aber nicht nur Technologien. Sie verändern den Menschen und wie er lebt. Das macht sie so heikel. Nehmen wir Extremszenario IPv6: Zukünftig wird jedes Produkt, ob Auto, Jacke, Teppich oder Türträger, eine IP-Adresse und Software haben. Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Und alles, was vernetzt werden kann, wird vernetzt werden. Ständig!
Nationale Alleingänge führen hier nicht zum Ziel (siehe Energiewende in Deutschland), sondern zu Verunsicherung, weil keine individuellen Verbesserungen beim Bürger spürbar werden.
Wer kann sich heute eine Million sich autonom bewegender Elektromobile vorstellen? Die meisten Menschen wollen das nicht. Nicht nur, weil sie nicht wirtschaftlich sind und bis 2020 auch nicht sein können, sondern weil Vertrauen als wichtige Grundlage dafür fehlt – ebenso wie internationale Standards und Infrastrukturen.
Risiko: Überalterung, Wohlstand, Egozentrik
Eine der größten Gefahren für eine gewinnbringende Nutzung der Digitalität liegt in der alternden westeuropäischen Gesellschaft. Sollten sich die bereits existierenden Entschleunigungstendenzen weiter durchsetzen, laufen wir Gefahr, das Wertschöpfungspotenzial von etwa 250 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren anderen zu überlassen. Was dagegen zu tun wäre, ist bekannt: Wir brauchen eine investitionsfördernde digitale Wirtschaftsordnung auf nationaler und europäischer Ebene. Wir müssen eine Vision entwickeln und umsetzen, die als soziale Marktwirtschaft nicht nur die großen Unternehmen, sondern auch den Mittelstand mitnimmt, der die Herausforderung zwar zu erkennen scheint, aber noch nicht in der Lage ist, sie zu bewältigen.
Ein weiteres Risiko besteht ironischerweise in dem derzeit günstigen Wirtschaftsklima. Unser Wohlstand macht uns bequem. Wir drohen dadurch exogene Faktoren zu übersehen, die die europäische Wirtschaft von außen umgestalten. So zum Beispiel Asien. In einer solchen Situation ist eine erhöhte Flexibilität der Wirtschaftssubjekte – Produzenten, Dienstleister wie auch Konsumenten – wichtig. Nur so können wir zumindest eine adäquate Reaktionsfähigkeit erreichen. Dafür bieten sich gerade Cloud Computing und BDA an.
Riskant ist auch die weit verbreitete egozentrische Sichtweise. Statt mit Gender Mainstreaming, aktiver Sterbehilfe und Social Freezing auch auf höchster politischer Ebene nur um uns selbst zu kreisen, sollten wir lieber verstehen wollen, wo die eigentlichen Bedürfnisse der Masse der Menschen liegt. Dabei helfen ebenfalls Cloud Computing und BDA. Denn persönlicher Datenschutz führt zu wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Datenschutz. Mehr Wissen schützt und mehr „Cloud“ bedeutet mehr Wissen. Daher wäre es fatal, wenn Datenschutzbehörden in Ihrem Übereifer uns bei der Wahl des Umgangs mit freiwillig geteilten Daten bevormunden.
Aufklärung schafft Vertrauen
Vor uns liegt noch ein weiter Weg. Risiken müssen erkannt und analysiert werden. Befindlichkeiten müssen aus der Welt geschafft, ein politischer Wille muss formuliert, angegangen und international umgesetzt werden. Die Aufgabe mag enorm erscheinen, doch sie anzugehen ist alternativlos. Und unsere Chancen stehen gut. Denn das Verständnis und ein international vorbildlicher Einsatz dieser mächtigen digitalen Technologien auf Basis des Humanismus und des deutschen Grundgesetzes konformen Rechtsverständnisses schaffen Vertrauen. So werden Ängste abgebaut und Chancen genutzt. Es gibt keinen Grund, warum uns das nicht gelingen sollte. Schließlich haben wir einst sogar das göttliche Feuer gebändigt.
* Thomas von Bülow, EuroCloud-Vorstandssprecher Ressort Research & Innovation und Geschäftsführender Gesellschafter bei der Bitobito GmbH
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