Echte Teilhabe am Arbeitsplatz Wie sich Inklusion technologisch umsetzen lässt

Ein Gastbeitrag von Beatriz González Mellídez*

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15 Prozent: Dieser Anteil der Menschen lebt weltweit mit einer Beeinträchtigung, sei sie körperlich, geistig oder beides. In Deutschland betrug der Anteil beeinträchtigter Menschen im Jahr 2019 ca. 10,4 Millionen, also 9,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Unternehmen profitieren von Inklusion; bestimmte Technologien und Methoden unterstützen Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen und helfen bei der Teamarbeit.
Unternehmen profitieren von Inklusion; bestimmte Technologien und Methoden unterstützen Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen und helfen bei der Teamarbeit.
(Bild: Rafa Jodar - stock.adobe.com)

Ein großer Teil von ihnen lebt mit einem Behinderungsgrad von 50 oder höher. Die Covid-Krise dürfte die Anzahl beeinträchtigter Menschen, die mit den Symptomen von Long-Covid leben müssen, weiter gesteigert haben. Beeinträchtigungen indes gehen nicht nur von den Menschen selbst aus, sondern werden ihnen von der Umwelt in den Weg gestellt. Dabei kann es sich schon um fehlende Aufzüge für gehbehinderte Menschen vor Treppen, schlecht lesbare Schrifttafeln an Bahnhöfen oder um fehlende Audioausgaben von Informationen für Sehbehinderte handeln.

Doch die Lage bessert sich: Immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial, das Menschen mit Beeinträchtigungen ihrem Betrieb bringen können – insbesondere in Zeiten fehlender Fachkräfte. Neue Technologien und Policies helfen Unternehmen dabei, Menschen mit Beeinträchtigungen zu inkludieren.

Vorteile der Inklusion

Menschen mit Behinderungen zu unterstützen und sie ins eigene Unternehmen zu integrieren, zeichnet Unternehmen nicht nur als modern und zukunftsgewandt aus. Auch abseits des Marketings bringt Inklusion viele Vorteile mit sich. Im Zuge der Digitalisierung entstehen immer neue Stellen, die besetzt werden sollen. Doch es mangelt an Fachkräften, Schätzungen von Bitkom zufolge sind alleine in Deutschland 96.000 IT-Stellen unbesetzt. Betriebe können es sich daher schlicht nicht mehr leisten, qualifizierte, aber beeinträchtigte Mitarbeitenden nicht einzustellen.

Auch abseits des Fachkräftemangels bringt die Inklusion von Menschen mit Behinderungen Vorteile. Menschen mit Behinderungen weisen beispielsweise gegenüber Unternehmen, die ihre Arbeitsumgebungen ihren Bedürfnissen anpassen, eine hohe Loyalität sowie Arbeitsmoral auf. Darüber hinaus haben sie oft eine „Hands-on“-Mentalität – praktische Tatkraft – inne, was aus ihrem Leben mit Beeinträchtigung und der damit einhergehenden Improvisationsfähigkeit resultiert. Nicht zuletzt bringen sie neue Sichtweisen und Erfahrungen mit in Unternehmen, von denen ihre Kolleginnen und Kollegen profitieren können.

Hier gilt es allerdings für Unternehmen, Fingerspitzengefühl zu zeigen und Inklusion richtig anzufassen: Obschon Menschen mit Behinderung neue Sichtweisen und Arbeitsmethoden mit in den Betrieb bringen, sollte dies nicht nur an ihrer Beeinträchtigung festgemacht werden. Schließlich ist die Teamfähigkeit einer Person eine Eigenschaft, die unabhängig von einer Beeinträchtigung ist, sondern eher eine Frage der Persönlichkeit.

Inklusion mit Fingerspitzengefühl

Für Unternehmen besteht der Mittelweg darin, Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsalltag einzubeziehen. Wenn Unternehmen versuchen, alle Maßnahmen zu verstärken, die für behinderte Kollegen ergriffen werden, könnte das von anderen Kollegen als positive Diskriminierung mit letztlich negativen Auswirkungen für sie wahrgenommen werden. Dies würde dazu führen, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen trotz der Bemühungen des Unternehmens fehlschlägt und sie ausgegrenzt werden.

Der Punkt ist, dass die Bereitstellung der richtigen digitalen barrierefreien Hilfsmittel für ihre Mitarbeitenden mit Behinderungen nicht nur deren Produktivität, Effizienz und Unternehmenszufriedenheit verbessern wird, sondern auch die ihrer Kollegen mit unsichtbaren Behinderungen und ohne Behinderungen, die ebenfalls vom Mainstreaming dieser Hilfsmittel profitieren. Damit Menschen mit Beeinträchtigung ihre Talente richtig ausspielen können, sind daher bestimmte technische Hilfsmittel unerlässlich.

Technologien für Barrierefreiheit

Viele Technologien, die Menschen mit Beeinträchtigungen unterstützen, sind heute bereits standardmäßig in Produkten implementiert: Bildschirmlupen, Vorlese-Tools sowie Anpassungsmöglichkeiten für Farbkontraste haben sich bereits vor einiger Zeit etabliert. Die Möglichkeiten digitaler Technologien gehen aber weit darüber hinaus.

Speech-2-Text
Diese Tools wandeln gesprochene Sprache in Texte um und helfen insbesondere Menschen mit Sehbeeinträchtigung dabei, Texte zu verfassen aber auch auf Oberflächen zu navigieren. Im Alltag haben sich diese Tools auch für Menschen ohne Beeinträchtigung etabliert, etwa bei Navigationssystemen in Autos, die sich während der Fahrt per Sprache bedienen lassen oder zur Steuerung von Smart Homes. Die Qualität der Lösungen ist bereits weit vorangeschritten und verbessert sich weiter. Dort, wo diese Technik an ihre Grenzen stößt, kommen professionelle Schriftdolmetscher zum Einsatz.
Erweitert wird diese Technologie mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Diese hilft, gesprochene Befehle zu erkennen und Kontexte von Aussagen zu verstehen: Aus „Mir ist kalt“ beispielsweise schließt die KI, dass sie die Temperatur hochregeln sollte. Bei der Inklusion helfen solche Lösungen, indem sie beeinträchtigten Personen ermöglichen, ohne körperlichen Aufwand die Temperatur im Büro oder im Homeoffice zu regeln, Zugang zu Räumen zu erhalten oder Aufzüge zu rufen.

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Text-2-Speech
Vorlese-(Text-to-Speech)-Systeme sind eine gute Alternative zu Bildschirmlupen, da letztere den Sichtbereich auf dem Monitor stark verkleinern. Text-to-Speech-Programme helfen sehbeeinträchtigten und neurodiverse Personen etwa, indem sie Texte auf Bildschirmen vorlesen, und auch Menschen, die unter Migräne leiden. Bei der direkten Kommunikation können sie sprachbeeinträchtigte Menschen unterstützen, indem sie Text, beispielsweise auf dem Smartphone, während eines Gesprächs in gesprochener Sprache ausgeben.

Erweiterte Realität – Augmented Reality und Virtual Reality
Systeme für Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) können Menschen mit Behinderungen auf vielfältige Weise unterstützen: Mit der Kombination unterschiedlicher Verfahren wie GPS, Google Street View und Handy-Ortungsdaten können Menschen mit Sehbehinderung und Blinde mit Informationen über ihren aktuellen Standort versorgt werden. Mit dem Einsatz von Kameras und Sensoren wird das Vorlesen von schriftlichen Informationen wie Speisekarten, Lebensmitteletiketten, Währung oder Fahrplänen möglich. Ganz neu sind die Türerkennungsfunktion, um die Möglichkeiten zur Umfelderfassung mittels Light Detection and Ranging (LiDAR), Kamera und maschinellem On-Device-Lernen zu kombinieren.
Menschen mit Hörbehinderung profitieren bereits von herkömmlichen Anwendungen für Augmented Reality, die Informationen oder Navigationsanweisungen auf dem Smartphone-Display anzeigen. Über verschiedene Anwendungen zur Indoor-Navigation lässt sich dies auch im Unternehmenskontext nutzen, indem beispielsweise entsprechende Apps für Mitarbeiter und Besucher angeboten werden.
Datenbrillen mit AR-Funktionen erlauben Menschen mit Hörbehinderung Einblendungen ins Sichtfeld, die Informationen und Hinweise zu Arbeitsaufgaben geben, sowie Notfallinformationen, die durch Geräuscherkennung auch im Sichtfeld eingeblendet sein können.

Neurodiversität: Unterstützung für Lernen und Konzentration
Vorlesefunktion und Autokorrektur sind sehr wichtige Hilfen für Menschen mit Legasthenie und Lernschwierigkeiten. Für Menschen mit ADHS gibt es auch Funktionen, welche es ermöglichen, Ablenkungen zu reduzieren. So erlauben „Reader Mode“ oder „Immersive Reader“ in Textverarbeitungslösungen und Web-Browsern, zusätzliche Elemente wie Bilder und Werbung zu reduzieren oder den größten Teil der Benutzeroberfläche auszublenden, sodass nur noch mehrere oder eine Zeile Text zu sehen sind.

Biometrische Zugangssysteme
Für einige Menschen mit Behinderungen sind herkömmliche Zugangssysteme mit Passwörtern eine schwer überwindbare Barriere – etwa, weil sie die Tastatur oder den Touchscreen nicht richtig bedienen können oder sich die zahlreichen und komplizierten Muster nicht merken können. Eine barrierefreie Alternative sind biometrische Erkennungssysteme wie Fingerabdruckscanner oder Gesichtserkennung.

Inklusion, aber richtig

Technologien, die die Inklusion unterstützen, sind wichtig. Jedoch sollte auch die Strategie stimmen, mit der an die Inklusion herangetreten wird. Darunter fällt vor allem, wie Unternehmen die Inklusion im Alltag angehen: So gilt es z. B., bei Inklusionsprojekten sämtliche Mitarbeiter – mit und ohne Behinderung – in den Entscheidungsprozess einzubinden. Dies kann sich schon in der Aufteilung von Arbeitsplätzen und der Gestaltung von Pausen äußern: Welcher Platz weist die nötige Ruhe auf, um neurodiverse Menschen bestmöglich zu unterstützen? Wie lassen sich zusätzliche Pausen, die Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen könnten, mit dem Workflow abstimmen?

Kommunikation ist das A und O, mit Empathie und Rücksichtnahme können sich Teams meist am besten organisieren und auch Probleme selbst lösen, besonders in der IT-Arbeitswelt, die eine solche Selbstorganisation als Aspekt einer agilen Arbeitskultur schätzt. Und solche „Best Practices“ unterstützen nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern die ganze Firma.

So wichtig Selbstorganisation ist und so viele Vorteile sie mit sich bringt: Unternehmen stehen trotzdem in der Pflicht, Inklusion in ihre Firmenpolitik mit aufzunehmen und mit sie Fortbildungen und Schulungen weiter voranzutreiben.

Mitarbeitende im Homeoffice nicht vergessen

Fernarbeitskräfte mit Behinderungen, die im Homeoffice arbeiten, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Sie geraten im routinierten Arbeitsalltag häufig aus dem Blick, vor allem in hybriden Arbeitsumgebungen. Deswegen empfiehlt es sich, Schulungen und Mentoring-Programme anzubieten, die alle Mitarbeitenden beim Remote Work unterstützen. Nicht alle Mitarbeitenden nehmen ihre Behinderungen bewusst wahr oder kommunizieren sie offen. Aber Mitarbeiter im Homeoffice, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind einem erhöhten Isolationsrisiko ausgesetzt. Präventive Maßnahmen zur Unterstützung ihrer psychischen Gesundheit helfen ihrem Wohlbefinden am Arbeitsplatz – was letztendlich ihrer Produktivität und somit dem gesamten Unternehmen zugutekommt.

Beatriz González Mellídez, Atos.
Beatriz González Mellídez, Atos.
(Bild: BrandPortal)

Diese kurze Übersicht zeigt: Inklusion am Arbeitsplatz ist heute dank moderner Technologien und Lösungen möglich und leicht umsetzbar. Gelebte Inklusion am Arbeitsplatz ist ein Gewinn für die Unternehmen, die Mitarbeitenden mit Behinderungen, und das gesamte Team.

* Die Autorin Beatriz González Mellídez ist Head of Accessibility & Digital Inclusion, Central Europe bei Atos.

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