Bitkom schlägt „Digital Hubs“ vor Digitalisierung muss Chefsache werden
Die Digitalisierung führt zu tiefgreifenden Veränderungen in der deutschen Wirtschaft. Viele Unternehmen passen ihre Angebote infolge des digitalen Wandels an und launchen neue Produkte oder Dienste oder müssen infolge sogar Waren und Dienstleistungen vom Markt nehmen.
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Eine repräsentative Umfrage unter 507 Unternehmen aller Branchen ab 20 Mitarbeitern im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, die zur CeBIT 2016 vorgestellt wurde, hat ergeben: Vier von zehn Unternehmen (40 Prozent) haben infolge der Digitalisierung bereits neue Produkte oder Dienste auf den Markt gebracht und 57 Prozent bestehende Angebote angepasst. Dagegen musste jedes achte Unternehmen (12 Prozent) wegen des digitalen Wandels einen Teil ihres Angebots vom Markt nehmen.
Dennoch bestätigen zwei Drittel der befragten Unternehmen (64 Prozent gegenüber 55 Prozent im Vorjahr) die mehrheitlich positiven Effekte der Digitalisierung auf ihr Geschäftsmodell. Bitkom-Präsident Thorsten Dirks kann angesichts der aktuellen Beobachtungen mit Recht behaupten: „Die Digitalisierung der Wirtschaft nimmt Fahrt auf.“ Die meisten Manager hätten die Herausforderungen erkannt, die Unternehmen müssten jetzt aber Tempo machen und den digitalen Wandel aktiv vorantreiben, fordert Dirks.
Gefahr und Chance
72 Prozent der befragten Geschäftsführer und Vorstände nennen den digitalen Wandel als Herausforderung für ihre Unternehmen – damit ist es das Top-Thema hinter der Sicherung des Fachkräftebedarfs (73 Prozent). Erst danach folgen mit Abstand interne Herausforderungen wie die Bewältigung eines starken Wachstums oder eine Restrukturierung (58 Prozent). Knapp neun von zehn Befragten (88 Prozent) betrachten die Digitalisierung eher als Chance für ihr Unternehmen statt als Risiko (9 Prozent). Lediglich 3 Prozent sagen, dass die Digitalisierung gar keinen Einfluss auf ihr Unternehmen hat.
Dabei sind veränderte Wettbewerbsbedingungen eine wichtige Folge der Digitalisierung. Gut die Hälfte der Unternehmen (52 Prozent) beobachtet, dass Wettbewerber aus der Digitalbranche in ihren angestammten Markt drängen. Dirks verweist auf äußerst erfolgreiche Neugründungen der jüngsten Zeit: „Uber, das größte Taxi-Unternehmen besitzt keine Autos; Facebook, das wertvollste Medienunternehmen produziert keine Inhalte; Alibaba, der wertvollste Händler besitzt keine Waren; Airbnb, der größte Anbieter von Übernachtungen besitzt nicht eine Immobilie.“ Digitale Plattformen sorgen also für nachhaltige Veränderungen der Wertschöpfung, Wertschöpfungsketten werden zu Wertschöpfungsnetzen.
Für Dirks ist es alarmierend, dass bisher kaum vergleichbare, erfolgreiche Initiativen aus Europa zu verzeichnen sind. Es brauche mehr Kreative „mit der Fähigkeit, die richtigen Fragen an Daten zu stellen, um daraus die richtigen Antworten zu finden“, so Dirks. Das Dilemma: Viele Unternehmen sind immer noch unzureichend auf den digitalen Wandel vorbereitet. Gut ein Viertel (28 Prozent) hat gar keine Digitalstrategie. 43 Prozent verfügen über eine zentrale Strategie, die verschiedene Aspekte der Digitalisierung berücksichtigt und vom Top-Management getrieben wird (Vorjahr: 39 Prozent). Bitkom-Präsident Dirks betont, wie wichtig der strategische Ansatz und die Verankerung in der Unternehmensspitze für eine erfolgreiche digitale Transformation sei.
Brückenbauer gesucht
Die Koordinierung liegt bisher, sofern es überhaupt eine zentrale Zuständigkeit gibt, meist entweder bei der Geschäftsführung oder beim IT-Verantwortlichen bzw. Chief Information Officer – nicht selten ist Kompetenzgerangel programmiert. Dirks fordert daher, dass betriebswirtschaftliches und technischen Know-how zusammenkommen sollten, beispielsweise in Person eines Chief Digital Officers, einer in deutschen Firmen noch weitgehend unbekannten Funktion. Nur zwei Prozent der großen Unternehmen ab 500 Mitarbeitern haben bisher diesen – wie ihn Dirks bezeichnet – „Veränderungsagenten“, also einen CDO.
Darüber hinaus werden auch mehr Mitarbeiter mit Digitalkompetenzen benötigt, sagen 87 Prozent der befragten Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um die gängige Bürosoftware, sondern um spezielle Kenntnisse für die jeweiligen Arbeitsfelder, von betriebswirtschaftlichen Anwendungen für Controlling, Marketing oder Finanzen über CAD-Programme für Ingenieure oder Content-Managementsysteme für die Pflege von Webseiten. Immerhin vier von fünf Unternehmen bieten dafür Weiterbildungen an. „Unternehmen müssen die Digitalkompetenz ihrer gesamten Organisation stärken“, sagte Dirks. „Das reicht von Schulungen für die Mitarbeiter über ein geeignetes Recruiting bis zur Verankerung von IT-Know-how an der Unternehmensspitze.“ Außerdem würden zudem mehr IT-Experten benötigt, sagen 84 Prozent. 59 Prozent haben Probleme, entsprechende Stellen zu besetzen.
Kräftebündelung
Der Bitkom schlägt deshalb die Schaffung von „Digital Hubs“ für die Leitbranchen der deutschen Wirtschaft vor. In solchen Hubs sollten die Flaggschiffe der deutschen Wirtschaft zusammen mit Mittelständlern, Start-ups, IT-Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein digitales Ökosystem bilden, um künftig „in anderen Dimensionen zu denken“. Dirks lobt hier beispielsweise die „kurzen Wege von Wissenstransfer und Kapital“, wie das Automobil-Hub im neuen „Silicon Valley im Altmühltal“ – mit der geplanten Teststrecke für selbstfahrende Autos auf der Autobahn A9 zwischen München und Nürnberg sowie der Zusammenarbeit von Autoherstellern in Ingolstadt und München bzw. entsprechenden örtlichen Forschungseinrichtungen zu intelligenter Verkehrstechnik (hierzu gehört beispielsweise auch CARISSMA, ein neues wissenschaftliches Leitzentrum für integrale Fahrzeugsicherheit, das am 6. Juni 2016 in Ingolstadt eröffnet wird) – bereits in Anfängen erkennbar mache.
„Wir müssen unsere Kräfte bündeln und digitale Schwerpunkte mit internationaler Strahlkraft schaffen“, sagte Dirks. „Es genügt nicht, nur zu vernetzen, was schon da ist. Wir brauchen einen Neuanfang in der Innovationspolitik, um zu den weltweit führenden Standorten der digitalen Wirtschaft aufschließen zu können.“ Um insbesondere Mittelständler bei der digitalen Transformation ihrer Unternehmen zu unterstützen hat der Bitkom den Praxisleitfaden „In 10 Schritten digital“ veröffentlicht.
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