Große Kritik an CSAM-Regulierung der EU Bürgerrechtler: Massenüberwachung unter dem Deckmantel Kinderschutz
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Vier Bürgerrechtsgruppierungen in Deutschland haben sich entschieden gegen die Pläne der EU-Kommission gewandt, im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern die Internet-Überwachung drastisch zu verschärfen.

Das geplante Kinderschutzpaket der EU-Kommission gegen die Verbreitung sogenannten „Child Sexual Abuse Materials“ (CSMA) stelle über 440 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht, erklärte am Montag die Bürgerbewegung Campact gemeinsam mit den Organisationen Digital Courage, Digitale Freiheit und Digitale Gesellschaft. „Statt die Verbreitung illegaler Inhalte zu unterbinden, setzt es das Recht auf Privatsphäre außer Kraft.“
Generelle Überwachung ohne konkreten Anlass
Die EU-Kommission hatte in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie Kinder im Netz besser schützen will. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson begründete die Pläne mit erschreckenden Zahlen. Allein im vorigen Jahr seien 85 Millionen Fotos und Videos entdeckt worden, auf denen der sexuelle Missbrauch von Kindern gezeigt werde. Der EU-Gesetzesentwurf sieht vor, dass Internet-Unternehmen verpflichtet werden können, die privaten Nachrichten all ihrer Nutzer nach illegalen Missbrauchsbildern zu durchleuchten. Dies würde auch populäre Chat-Dienste wie WhatsApp oder Signal sowie E-Mail-Angebote betreffen.
Die Bürgerrechtsgruppen forderten am Montag in ihrem Appell an Mitglieder der Bundesregierung, die geplante Chat-Kontrolle zu stoppen. Private Kommunikation in Chats und Messenger-Diensten in der EU dürfe nicht anlasslos und automatisiert überwacht werden. Campact-Sprecher Danny Schmidt wertete die EU-Pläne als „ein Einfallstor für Massenüberwachung“. „Was eine entsprechende Software alles scannt und nach welchen Kriterien sie Bilder und Nachrichten als problematisch einstuft, wäre kaum nachvollziehbar. Das wäre quasi als würden Ermittlungsbehörden alle unsere Briefe präventiv öffnen und durchlesen.“
Anbieter werden in die Pflicht genommen
EU-Innenkommissarin Johansson betonte hingegen, es solle nur gezielt nach Missbrauchsdarstellungen gefahndet werden. „Wir suchen die Nadel im Heuhaufen und setzen dabei einen Magneten ein, der sich nicht auf das Heu auswirkt.“ Die EU wolle dabei auch keine konkreten technischen Vorgaben machen. Die betroffenen Firmen hätten dabei die Möglichkeit, die Technologie zu verwenden, die am wenigsten in die Privatsphäre eingreife, um das notwendige Ergebnis zu erzielen.
Die EU-Pläne waren bereits unmittelbar nach der Vorstellung auf Widerstand gestoßen – auch in dem Berliner Ampel-Parteien, SPD, Grüne und FDP. Der Chaos Computer Club kritisierte den Vorstoß und sprach von einer „fundamental fehlgeleiteten Technologie“. Auch dem Deutschen Kinderschutzbund geht der Entwurf der Kommission zu weit. Der Vorstand des Vereins, Joachim Türk, sagte dem Bayerischen Rundfunk, er habe Bedenken gegen die massenhafte Überwachung privater Chatnachrichten. Der Großteil von Kindesmissbrauchsinhalten werde über Plattformen und Foren geteilt. Das Scannen privater Nachrichten sei „weder verhältnismäßig noch zielführend“.
Auch Digitalminister Wissing ist gegen allgemeine Kontrolle von Chats
Doch nicht nur Bürgerrechtler wenden sich gegen die Pläne, sondern nun auch Bundesminister Wissing. Damit zeichnet sich in der Bundesregierung ein Konflikt um die Pläne der EU-Kommission ab. Digitalminister Volker Wissing erklärte, allgemeine Chatkontrollen seien nicht hinnehmbar. „Wir brauchen einen geschützten Raum privater Kommunikation“, erklärte der FDP-Politiker.
Wissing stellte sich mit seiner Erklärung an die Seite von Bürgerrechtlern sowie anderen Digitalpolitikern innerhalb der Ampelkoalition. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gilt hingegen als Unterstützerin des EU-Vorhabens. Auf Twitter erklärte sie, es habe „höchste Priorität, Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen“ und „Täter und ihre Netzwerke mit allen rechtsstaatlichen Mitteln“ zu verfolgen. Sie begrüße deshalb, dass EU-Kommissarin Ylva Johansson den Entwurf vorgestellt hat.
Auch Wissing betonte, der Schutz von Kindern vor Missbrauch habe für ihn höchste Priorität. „Gleichzeitig müssen wir digitale Bürgerrechte schützen, dazu gehört ein Recht auf Verschlüsselung“. Einige der Vorschläge der Kommission beunruhigten ihn, weil sie einen Eingriff in den geschützten Raum der Vertraulichkeit der Kommunikation darstellen könnten. Er verwies in diesem Zusammenhang auf deren besonderen Schutz, weil dies in Deutschland als Fernmeldegeheimnis ein Grundrecht sei.
Der Verkehrs- und Digitalminister sprach außerdem von „vielen offenen Fragen“: So müsse etwa geklärt werden, wie die betroffenen Anbieter die zunächst erforderliche Risikoeinschätzung vornehmen sollen, ohne sich von den Inhalten der Kommunikation Kenntnis zu verschaffen.
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