Bitkom-Studie zu den Klimaeffekten der Digitalisierung Digitalisierung hilft bei der Erfüllung der Klimaziele

Autor Elke Witmer-Goßner

Mit einer systematischen Digitalisierung in vielen Wirtschafts- und Lebensbereichen kann man hohe Einsparungen an CO2 erzielen und damit näher an das für 2030 gesteckte Klimaschutzziel kommen.

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Das Potenzial, das digitale Technologien für mehr Klimaschutz bergen, lässt sich anhand der Studienergebnisse von Bitkom und Accenture konkret beziffern.
Das Potenzial, das digitale Technologien für mehr Klimaschutz bergen, lässt sich anhand der Studienergebnisse von Bitkom und Accenture konkret beziffern.
(Bild: gemeinfrei© Gerd Altmann / Pixabay )

Es klingt fast unglaublich und beinahe viel zu einfach, was die jüngst veröffentlichte Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ herausgefunden hat: Eine beschleunigte und konsequente Digitalisierung könne signifikant dazu beitragen, das Weltklima zu verbessern und die deutschen Klimaschutzziele zu erfüllen. Der CO2-Ausstoß könne durch den gezielten und beschleunigten Einsatz digitaler Lösungen in zehn Jahren um 120 Megatonnen reduziert werden. Das entspräche fast jeder zweiten Tonne dessen, was Deutschland noch bis 2030 einsparen muss, um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen.

Bitkom-Präsident Achim Berg bewertet den Report daher auch als „die wichtigste Untersuchung dieses Jahres“. Noch sei man „weit weg“, die bis 2030 anvisierte CO2-Reduktion von 262.000.000 Tonnen zu erreichen. Es sei also höchste Zeit, das Potenzial der Digitalisierung zu nutzen, um nicht „sehend auf einen Point of no return zuzulaufen“, so Berg.

In der Studie, die in Zusammenarbeit mit Accenture umgesetzt wurde, werden die Kohlendioxideinsparpotenziale in den Anwendungsbereichen Fertigung, Gebäude, Arbeit & Business sowie Mobilität betrachtet, und deren Ergebnisse nun veröffentlicht. Im Frühjahr kommenden Jahres sollen weitere Ergebnisse für die Bereiche Agrar, Energie und Gesundheit folgen. Man habe sich bewusst dafür entschieden, einen Teil der Erkenntnisse vorwegzunehmen, denn die Zeit dränge, erklärt Berg. Der Druck – vor allem auch auf die Politik – müsse zunehmen. Mit Hilfe der Studienergebnisse könne die doch sehr „emotional geführte Diskussion“ durch harte Fakten und das Aufzeigen der Möglichkeiten untermauert werden. Und je schneller man die Sache angehe, desto mehr CO2 könne gespart werden.

Definition

Moderate Digitalisierung: Das Tempo bei der Einführung und Verbreitung digitaler Technologien entwickelt sich so, wie es sich in den vergangenen 5 bis 10 Jahren in Deutschland entwickelt hat. Die Rahmenbedingungen und die Anreize sind so wie bislang – oder wie es konkret bis 2030 geplant ist.

Beschleunigte Digitalisierung: Das Tempo bei der Einführung, Verbreitung und Nutzung digitaler Technologien zieht durch entsprechende politische Anreize deutlich an.

Es ist keine Zeit mehr zu verlieren

„Mit der Digitalisierung halten wir einen extrem starken Hebel in der Hand, um den CO2-Ausstoß schnell und effektiv zu senken“, ist Berg überzeugt. Lag der Kohlendioxidausstoß 2019 noch bei 805 Megatonnen, so darf er 2030 lediglich 543 Megatonnen betragen. Bis zum Jahr 2030 müssen also 262 Megatonnen CO2 reduziert werden. Je mehr man aber über den Zusammenhang von CO2-Ausstoß und Digitalisierung wisse, desto besser könnten die enormen Potenziale digitaler Technologien für den Kampf gegen den Klimawandel genutzt werden, betont der Bitkom-Präsident.

Entscheidend werde sein, mit welchem Tempo der Einsatz der Digitalisierung in der kommenden Dekade vorangetrieben wird. So beziffert die Studie das CO2-Einsparpotenzial der betrachteten vier Bereiche bei einer eher moderaten Entwicklung der Digitalisierung, wie sie aktuell in Deutschland stattfindet, auf rund 78 Megatonnen bis zum Jahr 2030 – das sind 30 Prozent der notwendigen CO2-Einsparungen. Mit einer beschleunigten und gezielten Digitalisierung sei die Reduktion mit den genannten 120 Megatonnen CO2 jedoch deutlich größer und beträgt 46 Prozent der notwendigen Einsparungen.

Die Ergebnisse im Überblick

Industrielle Fertigung: In diesem Bereich entfalten digitale Technologien das größte CO2-Einsparpotenzial unter den betrachteten Anwendungsbereichen: Bis zu 61 Megatonnen CO2 könnten bei einer beschleunigten Digitalisierung bis 2030 eingespart werden – und 35 Megatonnen bei einem moderaten Digitalisierungstempo. Maßgebliche Technologie ist zum einen die Automatisierung in der Produktion, bei der Anlagen und Maschinen, Werkstücke und ihre Bauteile miteinander vernetzt sind und Prozesse selbstständig unter möglichst geringem Material- und Energieeinsatz ablaufen. Zum anderen sorgt der sogenannte Digitale Zwilling für deutliche CO2-Einsparungen: Diese virtuellen Abbilder von kompletten Produktions- und Betriebszyklen machen es möglich, dass Verfahren zunächst am digitalen statt am realen Objekt getestet werden. So können massiv Material, Energie und Ressourcen gespart werden.

Mobilität: Bis zu 28 Megatonnen bei einer beschleunigten Digitalisierung und 17 Megatonnen CO2 bei einer moderaten Digitalisierung ließen sich bis 2030 in diesem Bereich einsparen. Bedeutender Hebel ist hier zum einen eine intelligente Verkehrssteuerung, bei der etwa Sensoren an der Straße oder GPS-Systeme in Autos Daten liefern, mit denen Ampeln geschaltet, Verkehrsströme umgeleitet oder öffentliche Transportmittel gestärkt werden können. Zum anderen liegen große Potenziale in einer smarten Logistik, die Leerfahrten vermeidet und Frachtrouten optimiert. Auch die Sharing Mobility, die nicht nur Car-Sharing, sondern auch Ride-Sharing umfasst, bei dem sich mehrere Fahrgäste mit ähnlicher Zielrichtung ein Fahrzeug teilen, kann für eine effizientere und ressourcenschonendere Mobilität sorgen.

Gebäude: Ein Zuhause, das die Heizkörper automatisch herunterstellt, wenn ein Fenster geöffnet wird oder das Licht löscht, wenn die Bewohner zur Arbeit gehen: Smart-Home-Technologien helfen schon heute vielen Menschen dabei, Energie einzusparen. Auch in großen Büro- und Geschäftskomplexen werden digitale Lösungen eingesetzt, die Heizung, Lüftung oder Klimatisierung je nach Wetterverhältnissen oder Anzahl der anwesenden Angestellten automatisch regeln. Smart Homes und intelligente, vernetzte Gebäude können bei einer moderaten Verbreitung der entsprechenden Technologien bis 2030 rund 16 Megatonnen CO2 einsparen. Bis zu 19 Megatonnen sind es, wenn die Verbreitung smarter Technologien schneller vorangetrieben wird.

Arbeit und Business: Zuhause arbeiten statt ins Büro pendeln. Jeder Tag im Homeoffice leiste einen messbaren Beitrag zum Klimaschutz. 2019 haben erst 12 Prozent der Berufstätigen in Deutschland im Schnitt zwei Tage pro Woche im Homeoffice gearbeitet. Bei einer moderaten Entwicklung erreicht dieser Wert im Jahr 2030 48 Prozent – und 55 Prozent bei einer beschleunigten Digitalisierung der Büroarbeit. Auch der Ersatz von Geschäftsreisen durch Videokonferenzen sowie eine Reduktion von Büroflächen fallen ins Gewicht. Zwischen 10 und 12 Megatonnen CO2 könnten so bis 2030 eingespart werden.

Thema setzt sich in der Wirtschaft durch

Die deutsche Wirtschaft hat den Effekt digitaler Technologien auf die Umwelt in der Praxis bereits festgestellt: So sagen insgesamt 77 Prozent der Unternehmen in Deutschland, ihr Kohlendioxidausstoß sei durch Digitalisierungsmaßnahmen insgesamt gesunken. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung unter mehr als 750 Unternehmen ab 20 Mitarbeitern, die im September und Oktober 2020 im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt wurde. Demnach haben bereits 44 Prozent der Unternehmen eine intelligente Beleuchtung im Einsatz sowie 23 Prozent eine intelligente Heizung oder Kühlung. 7 von 10 Unternehmen (70 Prozent) haben Dienstreisen durch Webkonferenzen ersetzt. Im Bereich der Fertigung setzt jedes vierte Unternehmen (24 Prozent) eine intelligente Steuerung von Anlagen ein. Insgesamt sieht die deutsche Wirtschaft im Einsatz digitaler Technologien großes Potenzial für den Klimaschutz: So betonen 78 Prozent der Unternehmen, die Digitalisierung sei eine Chance fürs Klima – lediglich jedes fünfte (20 Prozent) sieht in ihr ein Risiko.

Kein Missverhältnis von Aufwand zu Nutzen

Das wirklich überraschende Ergebnis der Bitkom-Untersuchung: Trotz höherem CO2-Ausstoß durch den Betrieb von Rechenzentren (alleine in Deutschland über 60.000!), Netzen und Endgeräten wie Smartphones, Computer oder Tablets, ist das Einsparpotenzial deutlich größer als der CO2-Ausstoß an sich. Insgesamt, so das Fazit der Studie, ist das CO2-Einsparpotenzial der hier betrachteten digitalen Technologien rund fünf Mal höher als ihr eigener Ausstoß. Bei moderater Digitalisierung stünde dem CO2-Ausstoß für den Betrieb der IT-Infrastrukturen von 6 Prozent ein Einsparungspotenzial von 24 Prozent gegenüber. Ginge es mit der Digitalisierung noch schneller voran, wäre das Verhältnis von CO2-Ausstoß und CO2-Einsparung bei 8 Prozent zu 38 Prozent. „Klar ist“, so Berg, „die Digitalisierung selbst verbraucht Energie und Ressourcen. Aber sie kann klimafreundlich gestaltet werden.“ Würden die IT-Infrastrukturen mit mehr oder ausschließlich grünem Strom aus Wasser-, Wind- oder Solarkraftanlagen betrieben, könnte der CO2-Fußabdruck sogar noch einmal bis um die Hälfte reduziert werden. „Das Ziel muss also lauten, die Netto-Einsparungen möglichst nah an das Niveau der Brutto-Einsparungen heranzuführen.“

Die Unternehmen, unterstützt vom Bitkom, fordern daher die Politik auf, den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Zudem wünschen sich viele Unternehmen wirtschaftliche Anreize, um in Klima- und Umweltschutz zu investieren. Jetzt werde eine gezielte und mutige Flankierung durch die Politik gebraucht, um klimaschonende und emissionseinsparende Technologien zügig und auf breiter Ebene einzusetzen, so Berg. Die Politik könnte diese Entwicklung vorantreiben, indem sie Technologien für mehr Energieeffizienz wie beispielsweise Smart-Home-Produkte in entsprechende politische Förder-, Beratungs- und Aufklärungsprogramme einbeziehe. Auch wäre es hilfreich, Anreize für zeit- und ortsflexibles Arbeiten setzen, ohne diesen Bereich übermäßig zu regulieren. Wer regelmäßig zu Hause arbeite und dabei helfe, Staus zu vermeiden und die Umwelt zu schonen, sollte dafür belohnt und steuerlich mit Berufspendlern gleichgestellt werden.

Fazit des Bitkom:

  • Eine beschleunigte Digitalisierung kann mit 46 Prozent fast die Hälfte der bis 2030 nötigen CO2-Einsparungen erzielen, und das allein in den bisher untersuchten vier Anwendungsbereichen. Unter Einbeziehung weiterer Anwendungsfelder dürfte der mögliche Beitrag bei über 50 Prozent liegen.
  • Die größten Potenziale gibt es im Bereich der industriellen Fertigung und in der Mobilität.
  • Der CO2-Fußabdruck der Digitalisierung kann durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien stark reduziert werden.
  • Eine beschleunigte Digitalisierung zahlt nicht nur auf den Umwelt- und Klimaschutz ein, sie verbessert auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Digitalisierung kann also Wirtschaftswachstum mit Umwelt- und Klimaschutz versöhnen.
  • Nötig sind jetzt eine gezielte und mutige Flankierung durch die Politik und ein entschiedenes Handeln der Entscheidungsträger an der Spitze der Unternehmen.
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Ergänzendes zum Thema
Senkung der Treibhausgasemissionen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz

Die aktuelle Studie des Capgemini Research Institute „Climate AI: How artificial intelligence can power your climate action strategy“ weist nach, wie Künstliche Intelligenz (KI) Unternehmen dabei helfen kann, bis zu 45 Prozent ihres Klimaschutzziels nach dem Pariser Klimaabkommen zu erreichen.

Die Ergebnisse:

  • Zwei Drittel (67 %) der Unternehmen haben sich langfristige Ziele zur Eindämmung des Klimawandels gesetzt.
  • Die Nutzung von KI, um Klimaschutzmaßnahmen in allen Branchen und Wertschöpfungsketten zu beschleunigen nimmt zu: Mehr als die Hälfte der Unternehmen (53 %) gehen bereits über Pilotprojekte oder Proofs of Concepts hinaus.
  • KI-Anwendungsfälle umfassen Energieeffizienzsteigerungen, die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die Prozessoptimierung zur Produktivitätssteigerung.
  • Fast die Hälfte (48 %) der Befragten nutzt KI bereits für den Klimaschutz. Dadurch konnten sie seit 2017 die Treibhausgasemissionen um 12,9 Prozent senken, die Energieeffizienz um 10,9 Prozent erhöhen und das Abfallaufkommen um 11,7 Prozent reduzieren.
  • Nur 13 Prozent der Unternehmen verknüpfen KI-Ressourcen erfolgreich mit ihrer Klimavision.
  • Durch die Analyse von mehr als 70 KI-Anwendungsfällen zum Klimaschutz identifizierte Capgemini die zehn Anwendungen mit der größten Wirkung. Dazu zählen Energieverbrauchs- und Energieoptimierungsplattformen, Algorithmen zur Ausfallprognose sowie automatischen Erkennung von Störungen und Leckagen in Industrieanlagen, ohne den Betrieb zu unterbrechen.

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