Gesucht und nicht gefunden Was am Fachkräftemangel dran ist

Autor Heidi Schuster

Seit Jahren ist die Rede vom Fachkräftemangel – nicht nur in der IT. Glaubt man Jobportalen und Marktforschern, spitzt sich die Situation stetig zu. Doch was ist tatsächlich dran und welche Möglichkeiten gibt es, gegenzusteuern?

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Viele Unternehmen sind offenbar auf der Suche nach der „Eierlegenden Wollmilchsau“.
Viele Unternehmen sind offenbar auf der Suche nach der „Eierlegenden Wollmilchsau“.
(Bild: eosionist - stock.adobe.com)

Qualifiziertes Personal zu finden scheint immer schwieriger zu werden und machen wir uns nichts vor: Wer will sie nicht, die „Eierlegende Wollmilchsau“ zum Nulltarif?! Aber erstmal zur derzeitigen Situation: Anfang des Jahres meldete StepStone, dass 2016 21 Prozent mehr Fach- und Führungskräfte gesucht wurden, als noch im Vorjahr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden bundesweit und branchenübergreifend 17 Prozent mehr Stellen ausgeschrieben als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Für die IT-Branche im Speziellen gilt: Keine Berufsgruppe ist mehr gefragt. So richten sich bundesweit 17 Prozent aller Stellenausschreibungen bei StepStone an IT-Spezialisten. Daraus kann man das Fazit ziehen, dass die Digitalisierung stark voranschreitet und im Zuge dieser Entwicklungen qualifiziertes IT-Personal immer wichtiger wird.

Laut dem Jobportal Indeed ist der Bedarf an Security-Experten wegen der Digitalisierung besonders groß. Die Anzahl der ausgeschriebenen Stellen in diesem Bereich ist demnach in den vergangenen zwei Jahren bis Ende März 2017 um 58,6 Prozent gestiegen. Die Suchen legten im selben Zeitraum um 72,7 Prozent zu – allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Auch der Branchenverband Bitkom meldete Ende 2016, dass es in Deutschland 51.000 offene Stellen für IT-Spezialisten gibt, ein Anstieg von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

„Spezialisierte IT-Experten sind eine echte Herausforderung für das Recruiting in jedem Unternehmen. Die Lücke zwischen Jobangeboten und passenden Experten bremst den technologischen Fortschritt in Deutschland, gerade wenn wir an die Herausforderungen der Industrie

4.0 denken“, sagt Frank Hensgens, Geschäftsführer von Indeed Deutschland. Wichtig sei daher, dass Arbeitgeber ihre Recruiting-Strategie an das mobile Mediennutzungsverhalten dieser gefragten Kandidatengruppe anpassen und Kanäle wählen würden, die dem entsprächen.

Doch ob es damit getan ist, den richtigen Kanal zu nutzen, um IT-Spezialisten zu finden, ist fraglich.

Eierlegende Wollmilchsau gesucht

Ein Leser von IT-BUSINESS, der anonym bleiben möchte, schätzt die Situation etwas anders ein: „Machen wir uns nichts vor: Gesucht wird der erfahrene Hochschulabgänger mit geringen Gehalts-Forderungen – BaFöG-Student zu Gehaltsempfänger ist schon eine Steigerung – ohne Familie und flexibel, maximal 25 Jahre alt.“ Gesucht werde auch gerne der absolute Experte, aber nur jetzt für ein Projekt. Und dann nur mit Zeitvertrag, oder gar nur ein Praktikum! Eine organische HR-Wachstums-Strategie sei selten feststellbar, vielmehr Aktionismus. Und die Politik könne in dieser Sache ohnehin nie differenzieren, sie sei nur in der Lage 1:1-Beziehungen herzustellen und damit die falschen Schlüsse ziehen. „Ich glaube nicht an einen umfassenden Fachkräftemangel, sofern man Leistung und Preis in gesellschaftskonforme Relationen bringt. Punktuell und regional vielleicht, dann aber nur temporär“, so der Leser weiter.

Im Grunde berichten alle Leserzuschriften, die uns zum Fachkräftemangel erreicht haben, von der gleichen Problematik: Wer zu alt, zu unflexibel und/oder zu viel verdienen möchte, hat keine Chance am Arbeitsmarkt. Sogar gibt es häufig kein Praktikum, wenn man nicht wenigsten eines bereits absolviert hat!

Steigende Gehälter

Die logische Konsequenz für Unternehmen, die keine passenden Fachkräfte finden, ist, das Gehalt anzupassen und die Stelle damit attraktiver zu machen. Dass viele offenbar diesen Weg gehen, zeigt die „Gehaltsübersicht 2018“ der Personaldienstleisters Robert Half. Demnach wollen im kommenden Jahr mehr als 90 Prozent der Führungskräfte ihren Mitarbeitern in den nächsten Monaten mehr Gehalt zahlen, besonders Fachkräfte im IT-Umfeld sollen sich freuen dürfen. Netzwerk- und Security-Administratoren sollen 6,5 Prozent, Netzwerkingenieure 5,3 Prozent und Netzwerk-Administratoren 4,8 Prozent mehr verdienen. Laut StepStone verdient ein IT-ler durchschnittlich 62.390 Euro brutto im Jahr in Deutschland. Wer Personalverantwortung hat, bekommt nochmal 27 Prozent mehr. Damit liegen die Fach- und Führungskräfte der IT über dem deutschlandweiten und branchenunabhängigen Bruttodurchschnittsgehalt von 57.150 Euro.

Hohe Gehälter gibt es aber nur in Regionen, in denen der Personalmangel besonders hoch ist. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es nur 16 IT-Stellen auf 100.000 Erwerbsfähige und das durchschnittliche jährliche Bruttogehalt für IT-ler liegt bei 47.125 Euro. In Hessen gibt es 125 offene IT-Stellen auf 100.000 Erwerbsfähige und stattliche 68.184 Euro brutto.

Der Kampf um Fachkräfte

Im Kampf um qualifizierte Mitarbeiter gehen Unternehmen neue Wege. „Create Tomorrow“ heißt beispielsweise das Corporate-Social-Responsibility-Programm (CSR) von CA Technologies, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die „chronische Qualifikationslücke“ im Bereich der MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (englisch STEM – Science, Technology, Engineering, Maths) zu schließen.

„Technologie verändert unser Leben mit einer beispiellosen Geschwindigkeit“, sagt Marco Comastri, General Manager EMEA bei CA Technologies. „Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Denn die Nachfrage nach den Experten ist groß und die Zahl der Absolventen zu gering. Und: Es entscheiden sich deutlich weniger Frauen für ein Studium oder eine Karriere im STEM-Bereich.“

CA ist Gründungsmitglied der STEM Alliance, die mit 30 europäischen Bildungsministerien zusammenarbeitet und von European Schoolnet und CSR Europe geleitet wird. Die Non-Profit-Initiativen wollen die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Bildungseinrichtungen stärken, das Interesse von Schülern und Studierenden an STEM-Fächern wecken und innovativen STEM-Unterricht unterstützen. So hatten beispielsweise die Studenten der Universität Stuttgart die Gelegenheit mit Georg Lauer, Business Tech Architect bei CA Technologies, über Herausforderungen im IT-Betrieb zu sprechen. Die Vorlesung mit dem Titel „IT Service Management und DevOps“ gab Studenten einen Einblick in die Herausforderungen großer Unternehmen beim IT-Betrieb und zeigte Lösungswege auf, wie Verfügbarkeit, Leistung und Service sich mit den modernen Ansprüchen der Software-Entwicklung vereinen lassen. Zudem vergibt CA das sogenannte „Deutschlandstipendium“, eine Initiative der Bundesregierung zur Unterstützung von Top-Talenten an Universitäten.

Wer es sich leisten kann, versucht für neue Mitarbeiter Anreize zu schaffen. Dabei geht es nicht mehr nur um einen Firmenwagen oder ein Dienst-Handy, sondern um Wohnraum. So unterstützt das Münchner Start-up Suite&Co Unternehmen beim Gewinnen und Binden von Mitarbeitern indem für ausgewählte Kandidaten eine maßgeschneiderte Immobiliensuche, individuelle Inneneinrichtung und ein persönliches Umzugsmanagement angeboten wird. „Ein ideales Lebensumfeld schafft die Grundlage für erfolgreiche, fokussierte Arbeit“, erklärt Gründerin Lisa Mellinghoff.

Mitarbeiterbindung

Wer gutes Personal hat, will es in der Regel auch behalten. Um dies zu erreichen, muss man wissen, was Fachkräfte wollen. Laut einer Studie von StepStone und Kienbaum möchten vier von fünf Fachkräften in Deutschland in Unternehmen mit flachen Hierarchien arbeiten. Zugleich wollen sie aber nicht auf klare Vorgaben verzichten.

„Fachkräfte sind heute echte Karriereplaner. Sie interessieren sich dafür, wie in einem Unternehmen gearbeitet wird. Es geht nicht mehr nur darum, ob sie die richtigen Fähigkeiten für eine Stelle mitbringen. Sie wollen auch wissen, ob die Arbeitsweise und die Führungskultur in einem Unternehmen zu ihnen passen“, erklärt der StepStone-Geschäftsführer Dr. Sebastian Dettmers.

Ausweg Freelancer?

Externe Mitarbeiter sind für viele Unternehmen der Ausweg aus dem Spezialisten-Dilemma. So schätzen 24 Prozent der Unternehmen, die im Rahmen einer Studie des Digitalverband Bitkom befragt wurden, dass die Bedeutung der IT-Freelancer für die eigene Firma sehr groß ist. Besonders wichtig seien die Freiberufler derzeit für Unternehmen mit 1.000 bis 1.999 Mitarbeitern. Hier sagen 29 Prozent, dass sie stark auf Freelancer bauen. Die Lünendonk-Marktsegmentstudie 2017 hat ähnliche Ergebnisse hervorgebracht. So heißt es: „Die Digitalisierung der Wirtschaft sorgt für steigende Projektbudgets. Große Unternehmen setzen dabei stark auf IT-Freelancer, um fehlende Kompetenzen in den Teams zu ergänzen.“

Hier könnte man hineininterpretieren, dass Unternehmen bei der Festanstellung von IT-Spezialisten zurückhaltend sind, da sie nicht wissen, wie sich der Hype um die Digitale Transformation entwickelt. Einige Unternehmen haben bereits im Jahr 2000 im Rahmen der Dotcom-Blase schwere Verluste eingefahren und mussten Mitarbeiter entlassen, weil die Budgets nicht mehr ausreichten. Sich jetzt auf Freiberufler zu stützen, ist ein weniger riskanter Weg, da schneller und einfacher reagiert werden kann, sollten die Budgets wieder schrumpfen und obendrauf sie sind günstiger.

Alles nicht so einfach

Mit Sicherheit existieren Arbeitgeber, die eine qualifizierte Fachkraft nicht ausreichend bezahlen möchten oder nur junge Bewerber mit langjähriger Erfahrung suchen. Auch wird es in einigen Regionen zu wenig qualifiziertes Personal geben und bestimmt suchen manche Unternehmen vergebens die „Eierlegende Wollmilchsau“. Doch am Ende ist nur eines sicher: Fragt man Unternehmen, gibt es den Fachkräftemangel. Fragt man jobsuchende Fachkräfte, gibt es ihn nicht.

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