Interview mit Dr. Christian Böing, CEO von Strato Wie geht es weiter mit Strato und seinen Rechenzentren?
Im Dezember des vergangenen Jahres kaufte United Internet den Telekom-Webhoster Strato. Im Interview verrät Strato-Chef Christian Böing, warum er das für einen glücklichen Geschäftsverlauf hält und warum eigene Rechenzentren für das Unternehmen weiterhin sinnvoll und wichtig sind.
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Die Strato-Produktpalette reicht von Domains, E-Mail-Paketen, Homepage- Komplettpaketen, E-Shops und Servern über Online-Speicher bis hin zu individuellem High-End-Hosting. Das operative Geschäft wird in zwei firmeneigenen Hochleistungs-Rechenzentren in Berlin und Karlsruhe betrieben.
Behalten Sie Ihren Job, Herr Böing?
Christian Böing: Ich habe meinen Job immer noch und auch das Strato-Geschäft wird sich nicht viel ändern. Zu United Internet gehören viele selbständige Marken, auch 1&1 – (früher der Erzrivale von Strato), und das soll auch so bleiben. Immerhin handelt es sich nicht um eine feindliche Übernahme.
Doch noch vor wenigen Monaten haben Sie in unserem Interview herausgestellt, wie hinderlich ein großer Konzern, damals noch die Deutsche Telekom, für ein agiles Geschäft sein kann und wie gut aufgestellt Strato ist.
Christian Böing: Tatsächlich sind kurz- und langfristige Ziele und Strategien zu unterscheiden. Kurzfristig sind wir tatsächlich gut aufgestellt: Wir wachsen schön.
Ganz, ganz langfristig aber muss ich einräumen sind wir möglicherweise zu klein, um den hypergroßen Anbietern à la Amazon das Wasser zu reichen… Man schaue sich nur die aberwitzige Bewertung von Wix.com an. Klar, bieten wir einen tollen Homepage-Baukasten, aber auch Companies wie Jimdo und Weebly werden immer größer und verfügen über sehr ordentliche Marketingbudgets. Oder Digital Ocean zum Beispiel hat wie wir virtuelle Server im Portfolio – so groß, so mächtig, so toll ….
Aber auch die Cloud-Anbieter, die mit einem umfassenden IaaS aufwarten, greifen uns noch einmal von einer ganz anderen Seite an; OVH zum Beispiel: Erst im vergangenen Oktober hat OVH die Eröffnung dreier Rechenzentren in Australien, Singapur und Polen bekanntgegeben. Um das weltweite Expansionsprojekt zu finanzieren, hat der Cloud-Spezialist 2016 durch eine Partnerschaft mit den Investment-Firmen KKR und TowerBrook Capital Partners eine Kapitalerhöhung um 250 Millionen Euro erreicht. Auf dieser Grundlage sollen in den kommenden fünf Jahren Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro getätigt werden. Mit diesem Geld sollen unter anderem bis Ende 2017 sieben weitere Rechenzentren in den Vereinigten Staaten, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich sowie in den Niederlanden gebaut werden – und natürlich auch in Deutschland, wo OVH kürzlich das erste Gebäude ganz in der Nähe des Frankfurter PoP erworben hat.
Langfristig werden also viele Unternehmen (und sicher auch GoDaddy) sehr viel Geld in den Markt pumpen und wir würden in die Röhre gucken. Um den Standort Deutschland und das Strato-Geschäft zu stärken, müssen wir langfristig denken.
So ist es gut für uns, einen Big Player im Hintergrund zu haben – der ebenfalls Webhosting betreibt. Der Kauf bedeutet nicht: kaputt machen. Und es ist nicht so wie beim Aufkauf von Host Europe (HEG) durch GoDaddy: Dort wird wahrscheinlich eine Infrastruktur darüber gestülpt. Wir hingegen, wie auch 1&1, werden selbständig agieren können. Es ist sogar gewünscht, dass wir die unternehmerische Selbständigkeit behalten, um das agile, schnelle, selbstbewusste Handeln auszubauen. Die Konzerngröße ist zudem für Großkunden und für deren Outsourcing interessant. Wir konzentrieren uns auf die Internet-Seiten im Markt von kleinen Unternehmen und Mittelständlern.
Vor gut einem Jahr haben wir überlegt, ob eventuell Host Europe ein guter Partner für uns wäre. – Ja, vielleicht. Aber United Internet ist mindestens so gut: Klare Standpunkte, gleiche Kultur, die eines westfälischen Kaufmanns, und zum Teil haben unsere Mitarbeiter ohnehin dorthin gewechselt gehabt und umgekehrt.
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Strato-Chef Dr. Christian Böing im Interview
Hoster und RZ-Betreiber Strato auf neuen Wegen
Also alles Sonnenschein?
Christian Böing: Na ja. Wir haben Mitarbeiter, die schon ganz lange dabei sind und für die 1&1 seit jeher der Hauptkonkurrent war. Doch nun kauft die Nummer 1 die Nummer 2 und das Feindbild kommt weg. Damit geht den Mitarbeitern, die seit 20 Jahren dabei sind, ein Stück Identität verloren. Wir alle müssen uns erst daran gewöhnen.
Doch das ist ein bisschen so wie bei Audi; es handelt sich auch hier um eine eigenständige Marke innerhalb eines Konzerns, der Volkswagen Gruppe. Wir sind ganz viel orange und die bleiben blau.
Doch worin genau finden sich die Vorteile der Konzernzugehörigkeit?
Christian Böing: Wir können von einem gemeinsamen zentralen Funktionsbaukasten profitieren und die Einkaufsmacht bündeln, zum Beispiel im Domain-Handling: So muss nicht jede Marke für sich Verträge mit den Registries abschließen. Zudem könnten wir, wenn Skalierung benötigt wird, auf die Rechenzentren des Konzernverbundes ausweichen.
Hosting für den deutschen Markt anzubieten ist nicht gleichbedeutend mit dem Betrieb eigener Rechenzentren. Zu Strato gehören jedoch eigene Datacenter. Allerdings haben in Europa nur Dänemark und Zypern höhere Energiepreise. Verhageln die Ihnen das Betriebsergebnis?
Christian Böing: Ich halte den Energiepreis für überbewertet.
Oha!
Christian Böing: Strato erzielte im Jahr 2016 einen Umsatz von 127 Millionen Euro. Rund 3,5 Millionen muss das Unternehmen für Strom aufbringen. Das macht also gerade einmal 2,8 Prozent vom Umsatz aus. Würde ich Rechenleistung und Storage auslagern, sagen wir nach Schweden oder Island, und die Umzugskosten außen vor lassen, könnte ich realistischer Weise etwa 1,7 Millionen an Kosten sparen. Doch mit welchem Aufwand?
Wenn das Rechenzentrum nicht ganz in der Nähe läge, hätten wir das Angebot eines individuellen Managed Hosting für Geschäftskunden gar nicht aufbauen können. Mitarbeiter, die zuvor vergleichsweise langweilige Jobs im Bereich „Operations“ hatten, befassen sich nun mit hochspannenden Lösungen. Zudem arbeiten die Leute zeitweilig sowohl im Rechenzentrum als auch in unseren Büroräumen oder gar unterwegs. Wäre das unmöglich, müsste ich die Mitarbeiter aufgabenabhängig ein- beziehungsweise aufteilen, was wiederum riesige Reibungsverluste zur Folge hätte.
So aber ist es möglich, dass die Rechenzentrumstechniker im Verkaufsteam mitarbeiten können. Das aber kommt bei den Kunden, die mit uns Managed Hosting machen, gut an. Dazu kommt, dass diese sich tatsächlich vor Ort anschauen können, wo ihr Zeug steht. Und tatsächlich schauen sich die Kunden öfter als man denkt, das Rechenzentrum an. Sie wollen wissen und sehen, wie wir mit ihrer Hardware und ihrer IT-Lösung hantieren.
Tatsächlich finden im Berliner Rechenzentrum fast schon regelmäßig Veranstaltungen statt. Das signalisiert Professionalität und kommt super an.
Das Rechenzentrum als Marketing-Instrument!?
Christian Böing: Die eigenen Mitarbeiter ins Rechenzentrum zu bringen, ist noch einmal ein ganz anderer Schnack. Das Datacenter macht unser Business sehr anfassbar und erhöht die Identifikation mit dem eigenen Tun und dem Unternehmen Strato. So bringen die Mitarbeiter Fotos von ihren Rechenzentrumsbesuchen mit zu ihren Familien und Bekannten. Das ist vergleichbar mit einer Werksführung bei BMW oder VW; sie ruft Begeisterung und Identifikation hervor.
Weitere Vorteile beim Betrieb eines Rechenzentrums in unmittelbarer Nähe sind der geringe Koordinationsaufwand und die kurzen Wege. Der Rechenzentrumsleiter sitzt häufig bei uns im Bürogebäude. Zum Beispiel spielt der Stromeinkauf beziehungsweise der Standort für die Netzeinspeisung eine total wichtige Rolle. Da ist es wichtig, dass, sollte etwas quer laufen, ein Techniker kurz ´rüberfahren kann.
Zudem sparen wir Reisekosten. Rechne ich mit durchschnittlich 1.000 Euro pro Reise zu einem Rechenzentrum im energiepreisgünstigen Ausland käme ich auf rund 440.000 Euro pro Jahr an Reisekosten.
Und zu guter Letzt sparen wir noch an ganz anderer Stelle. Das Rechenzentrum braucht eine 24-Stunden Besetzung an sieben Tagen die Woche. Da einer alleine die Aufgabe nicht übernehmen darf, müssten immer mindestens zwei Personen vor Ort sein. Doch wir benötigen eigentlich nur einen Mitarbeiter. Da unser Rechenzentrum so nah beim Bürohaus liegt, haben wir auch unsere Nachtschicht des 24x7-Callcenter-Service in das Rechenzentrum gelegt – so ist niemals jemand alleine. Zusätzlich steht ein Operations-Mitarbeiter auf Abruf bereit, der ansonsten aber seine Zeit zuhause verbringen kann. Das ist für die Mitarbeiter schön und für das Unternehmen gut.
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