Neue Serie: ERP-Systeme aus der Cloud proAlpha macht den Mittelstand fit für die Zukunft
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SAP dominiert das Geschäft rund um das Enterprise Resource Planning (ERP). Hunderte von Alternativen aus der Cloud stehen aber bereit, das Rückgrat mittelständischer Unternehmens zu bilden. In einer neuen Reihe wollen wir einige interessante Vertreter davon vorstellen und beginnen mit proAlpha: Im Interview erläutert der neue CTO Björn Goerke, wie der ERP-Experte dem Mittelstand auf die Sprünge helfen will.

Noch bis vor zehn, fünfzehn Jahren liefen ERP-Systeme nur on-Premises wirklich befriedigend. Mittlerweile aber gibt es eine breite Palette an ERP-Systemen, die mit einem oder zwei Beinen in der Cloud ansässig sind, so etwa proAlpha, dessen ERP-Kern- und -Zusatzlösungen aus der hauseigenen Business Cloud das digitale Rückgrat der Wertschöpfungskette von mittlerweile mehr als 8.200 Kunden bilden.
Der ursprünglich 1992 gestartete Anbieter von ERP-Softwarelösungen für die mittelständische Fertigungsindustrie hat sich im Oktober vergangenen Jahres mit Björn Goerke einen neuen und namhaften Chief Technology Officer (CTO) an Bord geholt. Er soll die weitere Transformation des Anbieters in die Cloud verantworten und berichtet direkt an den CEO der Gruppe, Eric Verniaut.
Zuvor war Goerke viele Jahre bei SAP in diversen Führungspositionen tätig. Zuletzt hat er dort als CTO und President SAP Cloud Platform die komplette Technologie- und Plattform-Vision, Strategie und Innovationen sowie die technologische Integration der Gruppenunternehmen für das gesamte On-Premise- und Cloud-Produktportfolio des SAP-Konzerns verantwortet. In seiner letzten beruflichen Station, bevor er nun die proAlpha Gruppe verstärkt, bekleidete er das Amt des CTO bei der Volkswagen-Konzerntochter Cariad, wo er zusätzlich als Mitglied der Geschäftsführung für die Software-Entwicklung des In-car-Betriebssystems VW.OS sowie die Cloud-Plattform VW.AC verantwortlich war.
CloudComputing Insider: proAlpha ist seit über 30 Jahren mit seiner ERP-Software erfolgreich, das proAlpha Business Cloud-Angebot richtet sich an den Mittelstand – welchen Branchen legen Sie den Einsatz besonders ans Herz?
Björn Goerke: Kernsysteme in die Obhut eines IT-Partners zu legen, ist ein Schritt, der überlegt sein will – strategisch wie technisch. Wie intensiv Unternehmen – ungeachtet der Branche – ihr ERP in Richtung Cloud lenken, hängt sehr stark vom jeweiligen Standardisierungsgrad ab. Die Automotive-Branche, zum Beispiel, ist stark standardisiert. Diese wird auch eine der ersten Branchen sein, die mit ERP sinnvollerweise in die Cloud gehen wird. Auf der anderen Seite legen gerade mittelständische Unternehmen in Deutschland viel Wert auf ihre Individualität, was zum Teil einen Wettbewerbsvorteil darstellt, aber in puncto Cloud-Readiness auch eine Kehrseite hat.
Welche Kehrseiten meinen Sie?
Goerke: Die Mehrheit mittelständischer Fertigungsunternehmen setzt im ERP-Umfeld nach wie vor auf On-Premise. Hybride Implementierungen sind jedoch auf dem Vormarsch. Reine Cloud-Lösungen in der Fertigung hingegen sind Stand heute noch echte Exoten. Das liegt vor allem darin begründet, dass ERP-Systeme immer unternehmenskritisch und im Systemverbund eines Unternehmens hoch vernetzt sind, und damit nicht die ersten Systeme sind, die in die Cloud transferiert werden. Gerade bei ihren komplexen Fertigungsprozessen sind mittelständische Unternehmen noch zurückhaltend. Je näher etwa eine Applikation an den Kernprozessen eines Unternehmens liegt, desto zurückhaltender sind Unternehmen, sie in der Cloud betreiben zu lassen. Insbesondere für komplexe Module wie Materialwirtschaft, Produktionsteuerung und Logistik ist diese Haltung spürbar. Umgekehrt bedeutet das: Je weiter entfernt eine Anwendung von den Kernprozessen ist und je stärker standardisiert, desto einfacher lässt sich diese als Software-as-a-Service, also als vollumfängliche Cloud-Lösung, umsetzen. So sind Lösungen im Bereich E-Procurement in der Praxis fast ausschließlich in der Cloud abgebildet, während komplexere und stark modifizierte Applikationen weiterhin als On-Premises implementiert sind.
Es kommt also wie immer darauf an.
Goerke: Ja, ERP aus der Cloud ist keine Frage von „entweder oder“. Vielmehr verspricht eine Hybrid-Strategie im Sinne einer sinnvollen Kombination beider Welten mittelfristig – wenn nicht sogar langfristig – den größten Benefit.
Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau gilt als eine Ihrer Haupt-Zielgruppe, er gilt als konservativ und lässt sich nicht so schnell auf neue Techniken und Verfahren ein. Würden Sie sagen, dass die Branche die Digitalisierung verschlafen hat?
Goerke: Als ERP-Experte für die mittelständische Fertigung kennen wir die Herausforderungen und den Umsetzungsstand von Digitalisierungsinitiativen im industriellen Umfeld ganz genau. Zudem bestätigen Studien diese These. So stellt der VDMA sogar einen negativen Produktivitätseffekt im deutschen Maschinen- und Anlagenbau fest, obwohl in den vergangenen Jahren vielfältig in Software und Digitalisierung investiert wurde.
Wo liegt das Problem?
Goerke: Die Unternehmen haben sich in der Vergangenheit zu sehr mit dem klassischen Bild der Industrie 4.0 beschäftigt, also mit der Verzahnung der industriellen Produktion mit ITK-Technologien und der Optimierung, Automatisierung und intelligenten Vernetzung innerhalb der Produktion. Dabei hätten sich Entscheider viel mehr auf die sich bereits seit längerem – auch im B2B-Bereich – anbahnende Plattformökonomie vorbereiten, also frühzeitig digitale Plattformen, Mehrwertdienste und Geschäftsmodelle in ihre strategischen Überlegungen miteinbeziehen müssen. Dies ist umso bedauerlicher, weil das heutige Produktionsniveau auf dem Stand des Jahres 2011 ist. Ein systemimmanentes Problem ist sicherlich, dass der Schwerpunkt der industriellen Digitalisierung in Europa, und damit auch in Deutschland, in den vergangenen Jahren zu sehr fabrikzentriert und weniger marktorientiert war. Daher sehen wir auch nach zehn Jahren keine nennenswerten Fortschritte bei Produktivität und Profitabilität in der Breite. Es reicht eben nicht mehr nur, Maschinen und Anlagen mit der größtmöglichen technischen Finesse zu bauen und seine Automatisierungsprozesse in der Fabrikhalle zu optimieren, sondern Geschäftsmöglichkeiten durch zusätzliche produktbezogene Services über den gesamten Lebenszyklus zu generieren und zu monetarisieren.
Welche neuen Trends machen Sie aus, die das ERP aus der proAlpha Business Cloud in den kommenden ein, zwei Jahren beeinflussen werden?
Goerke: Eines der drängendsten Probleme der Industrie ist die aktuelle Energiekrise mit all seinen mehrdimensionalen Auswirkungen. Diese Entwicklung wird die Themen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität mehr denn je auf die Agenden der mittelständischen Entscheider bringen. Hinzu kommen zudem wachsende Anforderungen von Seiten nationaler und europäischer Gesetzgeber, etwa das anstehende Gesetz zum Emissionsausstoß. Nur Unternehmen, die über passende Lösungen für Energie- und CO2-Management verfügen, werden die seit Januar 2023 auf Bundes- und EU-Ebene geforderte Nachhaltigkeitsberichtserstattung abbilden können. Dies verlangt nach neuer und integrierter Funktionalität für das ERP-System als zentrale Daten- und Prozessdrehscheibe. DasThema Lieferketten-Resilienz ist ein weiterer Druckpunkt im Mittelstand: Die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen hängt auch von der Resilienz der Lieferketten ab. Hierbei wird – gerade in Zeiten mit begrenzten finanziellen Mitteln und Ressourcen – dem ERP-System eine noch bedeutendere Rolle zukommen als bisher. Spielt es doch beim Zusammenhalt partnerschaftlicher Ökosysteme, der Verzahnung von Lieferketten und somit auch für den Fortgang in der Produktion eine unternehmenskritische Rolle.
Und mit welchen Mitteln will die proAlpha Business Cloud dem begegnen?
Goerke: Mit IIoT stehen Unternehmen mittlerweile mehr Datenquellen und -mengen für Auswertungszwecke zur Verfügung. Außerdem verbessern sich Hardware und Algorithmen stetig. Das führt dazu, dass sich Geschäfts- und Produktionsprozesse in Zukunft mit KI optimieren lassen. So werden etwa smarte und prädiktive Beschaffungslösungen sowie nahtlos integrierbare Tools aus der Cloud auf Basis von KI, Machine Learning und Robotic Process Automation (RPA) dem klassischen ERP-System mehr Intelligenz und den nötigen Automatisierungsschub verleihen. Im Zeitalter von Remote und hybrider Arbeit müssen ERP-Anbieter auch den Anforderungen einer zunehmend mobiler werdenden Belegschaft gerecht werden. Kundenaufträge, Urlaubsanträge oder Projektkoordination wollen zunehmend auch mobil verwaltet und ausgeführt werden. Auch der Zugang zu Daten in Echtzeit, beispielsweise über intelligente Dashboards für eine detaillierte Bericht- und Prognoseerstellung, wird zunehmend zum Standard werden. Daraus resultiert die Notwendigkeit, die Entwicklung und Bereitstellung eines mobilen, plattformübergreifenden und über die Cloud nutzbaren ERP voranzutreiben.
Bleiben wir bei der Cloud in der mittelständischen Industrie. Lupenreine ERP-Lösungen aus der Cloud sind Stand heute nach wie vor sehr selten anzutreffen, da es sich hier um unternehmenskritische Systeme handelt.
Goerke: Ja, genau deshalb sehen wir bei der Implementierung von Cloud-ERP-Systemen oder -Komponenten eher eine Evolution statt einer Revolution. Die Cloud verlangt zudem eine Harmonisierung der Prozesslandschaft über Branchentemplates und Industry Best Practices, ohne die sich die Vorteile der Cloud nicht maximal ausschöpfen lassen. Innovationen können nur dann genutzt werden, wenn mittelständische Fertiger mit dieser Entwicklung mitgehen. Hier werden auch die Anbieter gefordert sein, sich den unterschiedlichen Digitalisierungs-Geschwindigkeiten ihrer Kunden anzupassen. Es geht also vor allem darum, Unternehmen bei der sukzessiven Erweiterung ihrer traditionellen Kernsysteme mit neuen, voll integrierten Cloud-Services zu unterstützen.
Software entwickelt sich permanent weiter. Welche Neuerungen können Anwender schon 2023 erwarten?
Goerke: Ein zunehmend dynamisches und unberechenbares Marktumfeld verändert die Wertschöpfung und auch die Geschäftsmodelle unserer Kunden. Dabei ist für unsere Kunden neben dem Blick auf die Cloud-Entwicklung vor allem die Entwicklung an der funktionalen Front von besonderem Interesse. Es reicht eben nicht, alten Wein in neue Schläuche abzufüllen und tradierte Geschäftsanwendungen einfach nur auf der Infrastruktur eines Hyperscalers zu betreiben. Vielmehr braucht es schnelle Innovationszyklen durch Plattform-Optimierung und Industry-Best-Practices und ein skalierbares ERP auf der neuesten Cloud-Technologie mit kundenspezifischen Lösungen. Wir stellen durch die sukzessive und tiefe Integration unserer marktführenden ERP+ Lösungen wie etwa zum Qualitäts- und Energiemanagement oder KI-gestützte und prädiktive Analysetools unseren Kunden ein SaaS-Offering bereit, das in puncto funktionaler Tiefe und Breite weit über traditionelles ERP hinausgeht. Durch kontinuierliche Updates werden Kunden neueste Funktionen auf der immer aktuellen proALPHA ERP-Version nutzen, die wir hybrid – sprich durch die Verknüpfung von On-Prem- und Cloud-Umgebungen – zur Verfügung stellen.
Sie sind ein ausgewiesener Visionär in Sachen Cloud Computing und haben das bereits bei der SAP und Volkswagen gezeigt. Welche Vision der proAlpha-Business Cloud schwebt Ihnen vor? Wo wollen Sie hin?
Goerke: Von ERP wird gesagt, dass es da oder dort mehr als ein Jahrzehnt unverändert im Einsatz ist. Nicht zu vergessen: ERP-Hersteller stecken sehr viel Energie in die Weiterentwicklung der Software. Die Innovationen, die damit inkludiert sind, können nur dann genutzt werden, wenn mittelständische Fertiger mit dieser Entwicklung mitgehen. Während die Release-Zyklen und damit die Innovationsschritte früher beinahe biblische Dimensionen hatten, hat sich mit der Cloud vieles verbessert. Das Wichtigste: Es ist eine Evolution, keine Revolution, ein harter Bruch wäre kontraproduktiv. Der zukünftige Unternehmenserfolg wird trotz allem eine immer schnellere, iterative Annäherung an den idealen Betriebszustand fordern. Bekannte Lock-in-Effekte, die eine schnelle Reaktionsfähigkeit sowie kurze Innovationszyklen bei maximalem Investitionsschutz behindern, werden auch im Mittelstand an Toleranzgrenzen stoßen.
Und das bedeutet im Hinblick auf eine übergeordnete Vision?
Goerke: Perspektivisch werden sich moderne ERP-Systeme wie das von proALPHA in Richtung offener und vollständig Cloud-nativer Microservices-Architekturen entwickeln, die auch hybrid und mit Third-Party-Anwendungen funktionieren. Dafür wird der klassische ERP-Monolith aufgebrochen und in standardisierte und gekapselte Services zerlegt. In diesem Szenario orchestrieren Kunden ihre Cloud- und On-Premise-Services nach ihren individuellen Anforderungen. Durch diese „Mix & Match“-Funktionalität lassen sich Prozesse umfänglich optimieren und eine quasi „Plug & Play“-Integration von Best-of-Suite mit Best-of-Breed-Technologien realisieren.
Es gibt mehrere Wege in die proAlpha Business Cloud – per Managed ERP oder mittels „proAlpha Full Cloud Experience“. Was sind die Unterschiede, für wen eignen sie sich jeweils?
Goerke: Welche Cloud-Lösung für einen Kunden passt, hängt maßgeblich vom Grad der Standardisierung respektive der Modifikationen ab. Das ist das Spektrum, innerhalb dessen wir uns mit unseren Lösungen bewegen und auch bewegen müssen. Gestaltet sich die ERP-Landschaft eines Kunden hoch individuell und mit vielen Anpassungen, leistet unser Managed Cloud-Angebot den besten Beitrag. Hier übernehmen unsere Experten über ein Data Center Outsourcing die Betriebsverantwortung inklusive IT-Sicherheitsmanagement für die ERP-Landschaft des Kunden. Diese Spielart ist für Kunden besonders interessant, sollten der IT-Abteilung weder ERP-Expertise noch Bandbreite zur Verfügung stehen. Befindet sich der Kunde bereits auf einer höheren Evolutionsstufe in Richtung Standardisierung und Best Practices, profitiert er SaaS-Prinzipien folgend von kontinuierlichen und schnell bereitgestellten Innovationen. Zudem bildet unser Gruppen-Portfolio auch einen Lösungsmix an, der die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Kunden entlang des Kontinuums von stark modifiziert bis stark standardisiert abbildet. Kunden haben so die Möglichkeit, auch Teile unserer ERP+ Landschaft als SaaS-Services zu nutzen. So können wir etwa die KI-gestützten Lösungen fürs Service Management von Empolis, die Energie- und CO2-Management Lösungen von ENIT oder aber die HR- und Financial Controlling-Portfolios von Tisoware und Corporate Planning über die bekannten Hyperscaler bereitstellen. Unser mittelfristiges Ziel ist es, für das komplette Spektrum, das wir auf Kundenseite heute sehen, passgenaue Cloud-Lösungen anzubieten.
Herr Goerke, wir danken für das Gespräch!
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