Industrie 4.0 und Open Source Mit IT Service Management zur nächsten industriellen Revolution

Autor / Redakteur: Ludger Schmitz / Nico Litzel

Die Voraussetzungen für die vierte industrielle Revolution sind nur scheinbar gegeben: Die Grenzen proprietärer Systeme behindern. Erst offene Standards und Systeme ermöglichen die notwendige Integration.

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Ziel der Industrie 4.0 ist „die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet.“
Ziel der Industrie 4.0 ist „die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet.“
(Bild: © everythingpossible - Fotolia.com)

Das Internet der Dinge ist populär, jedoch wird der Begriff in den Massenmedien häufig gleichgesetzt mit Sensoren und Steuerungssystemen für private Haushalte, mit Heizung, Licht und Haushaltsgeräten. Das könnte in ein paar Jahren ein Massenmarkt werden; viel früher hingegen gibt es andere massenhafte Einsatzmöglichkeiten in den Bereichen Produktion und Dienstleistungen.

Dass hier weniger vom Internet der Dinge die Rede ist, liegt auch daran, dass es bereits andere Begriffe dafür gibt: In den USA ist unter anderem von „Smart Manufacturing“ die Rede und wie zu erwarten gibt es dafür eine Industrievereinigung: die „Smart Manufacturing Leadership Coalition“ (SMLC). In Deutschland heißt es Industrie 4.0.

Industrie 4.0 soll für die vierte industrielle Revolution stehen – nach mechanischer Fertigung, Fließbandarbeit und elektronischer Automatisierung. Diesmal – immerhin ein offizielles Projekt der Hightech-Strategie der Bundesregierung – geht es um „die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet“, so der Definitionskompromiss bei Wikipedia.

Upgrade des Industriestandorts Deutschland

Die Forschungsabteilung der Deutschen Bank spricht von einem „Upgrade des Industriestandorts Deutschland“. Ein vernetztes System soll intelligente Produkte, Verfahren und Prozesse in der Produktion mit effizientem Energieverbrauch, Mobility, Logistik und Gebäudewirtschaft verknüpfen.

Der Deutsche-Bank-Forscher Stefan Heng warnt [PDF] bereits vor überzogenen Erwartungen und absehbaren Enttäuschungen. Die Kritik ist berechtigt, benennt allerdings nicht die Ursache, denn die hat etwas mit der Geschichte der IT in industriellen Umgebungen zu tun.

Hightech-Inseln und proprietäre Anlagen

Es wird nicht einfach werden und viel Aufwand verursachen, die Netze zu schaffen – was nicht an einem Mangel an Kabeln liegt. Computergestützte Automatisierung in Fertigungs- und Lagerhallen ist ein alter Hut; den Begriff CIM für Computer Integrated Manufacturing und elektronisch gesteuerte Roboter gibt es eine gefühlte Ewigkeit, nämlich seit der dritten industriellen Revolution. Doch das Bild in den Hallen ist geprägt von Hightech-Inseln, von proprietären Anlagen, die allenfalls über ebenfalls proprietäre Bussysteme nach „Industriestandards“ verbunden sind. Oft arbeiten die tollen Geräte völlig isoliert; einer überwacht sie am Steuerstand und wenn ein Problem auftaucht, kann der Arbeiter es beheben oder Vorgesetzte alarmieren.

So geht Industrie 4.0 natürlich nicht. Nach dem „Upgrade“ würden im Idealfall Sensoren an der Produktionsmaschine bereits anzeigen, wo sich ein Problem abzeichnet und gleich Servicetechniker in Gang setzen. Kommt es doch zum Ausfall einer Maschine, wüsste nicht nur deren Hersteller schon exakt, welches Ersatzteil zu liefern ist, auch die Fertigungskette würde automatisch neu eingetaktet. Darüber hinaus wäre die gesamte Logistikkette bis hin zum Kunden viel früher als bisher informiert, wann genau mit einem Produkt zu rechnen ist.

Von der IT lernen

In der „normalen“ Computertechnik gibt es solche Verfahren seit Jahren. Sie fallen dort unter die Begriffe ITIL und ITSM. Der erste steht für „IT Infrastructure Library“, ein Konzept, welches die IT als ein Prozesssystem beschreibt, das allgemeinere Unternehmensziele flexibel unterstützt. Die früher undurchsichtige, teure „Black Box“ IT wird so zum Dienstleister. Ihre Leistungen erbringt sie durch „IT Service Management“, kurz ITSM, anwenderspezifische Verfahren, um Serviceprozesse zu automatisieren und möglichst effektiv zu gestalten. Die Verfahren stützen sich dabei auf eine zentrale „Configuration Management Database“ (CMDB), in der bis ins Detail sämtliche IT-Geräte und die Software samt ihrer Beziehungen zueinander enthalten sind.

In der IT gibt es entsprechend funktionierende Lösungen. Sie lassen sich besonders einfach und kostengünstig einrichten, wenn die beteiligten Systeme kommunikationsfähig und zumindest nach Industriestandards offen sind. Es ist bei dieser Prämisse nicht verwunderlich, dass ein Produkt für diesen Zweck selbst Open Source, also Software mit offenen Sourcecode, und sehr erfolgreich ist: das „Open Ticket Request System“ vom gleichnamigen Hersteller OTRS aus Bad Homburg.

Diese Software ist sehr mächtig, weshalb in der Regel Partner für ihre Einrichtung zu ITSM-Systemen bei den Anwendern sorgen. Ein solcher Partner ist die Cape IT GmbH aus Chemnitz, die mit „KIX4OTRS“ eine Erweiterung anbieten, welche die entstehende IT-Umgebung übersichtlich und leicht zu administrieren macht sowie etliche Zusatzfunktionalitäten bietet.

Praxisbeispiel Tankstellenanlagen

Cape hat dieses System bei einer vor allem in Sachsen vertretenen Tankstellenkette installiert. Dazu hat zunächst die Firma Tedapro GmbH aus Stollberg die diversen Anlagenteile der Tankstellen netzwerkfähig gemacht und sie mit einer zentralen Steuerung verbunden. Von hier aus sind nun Tankstellen auch im unbemannten Betrieb mit KXI4OTRS rund um die Uhr unter Kontrolle. Alle relevanten Informationen – Füllstände der Tanks, Betriebszustände der Pumpen, Fördermengen, Leckage- und Feuerwarnungen, Anlagenbeleuchtung und Videoüberwachung – erhält nicht mehr nur der jeweilige Betreiber, der sich früher bei jeder Störung selbst mit der Servicezentrale in Verbindung setzen musste.

Vielmehr weiß jetzt die Servicezentrale schon Bescheid, wenn sich ein Problem abzeichnet, zum Beispiel durch Überhitzung, und das System wird ab einem Schwellenwert die Abschaltung dieses Geräts automatisch einleiten. Noch mehr: Die Servicetechniker der Tankstellenkette wissen präzise, welches Bauteil mit welchen Spezifikationen auszutauschen ist. Und was nicht vorrätig ist, wird automatisch bestellt. Cape-Geschäftsführer Rico Barth: „Im Idealfall erhält der Tankstellenpächter sofort eine Information: In Anlage x Pumpe an Tank y wegen z ausgeschaltet. Techniker ist unterwegs.“

Reaktionen auf Ereignisse vorher definieren

Das ist ein Beispiel für Industrie 4.0 in der Praxis. Der entscheidende Punkt ist hier, dass alle beteiligten Anlagen, Geräte und Personen mit ihren Rechten und Beziehungen zueinander genau durchdacht und in einer Software festgehalten sind, die auch die Reaktionen auf Ereignisse vorher definiert hat. In dieser Hinsicht wird schon der Versuch, Industrie 4.0 zu realisieren, gleich zu Beginn Vorteile nach sich ziehen. Denn industrielle Prozesse haben Geschichte, die dabei wirkenden Faktoren sind gar nicht so genau bekannt, ihr Stellenwert in einem Produktionsablauf kann höher oder niedriger sein, als gedacht. Es geht nicht nur um die Identifikation der Schwachstellen, sondern auch um weniger umständliche oder flexiblere Verfahren.

„Betriebs- und Messdatenerfassung schauen auf die einzelnen Elemente und Werte in einem Produktionsprozess“, erklärt Cape-Chef Barth. „Prozessorientierung macht sichtbar, welche Teilprozesse ganze Produktions- und Dienstleistungsketten unterbrechen können. Sie weist Wege auf, solche kritischen Elemente zu umgehen. Industrielles Service-Management blickt auf die gesamte Produktions- und Servicekette.“

Die IT wird im Zentrum von Industrie 4.0 stehen. Mit IT Service Management liegen ein Konzept und auch die Technik zur Gestaltung der nächsten industriellen Revolution bereits vor. Voraussetzung sind offene Systeme auf der Fertigungs- und Logistikseite. Hier wird sich über kurz oder lang ein neues Feld für Open Source eröffnen.

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