EuGH urteilt zu Vorratsdatenspeicherung erst 2022 Liegt „sicherheitspolitische Scheinmaßnahme“ bald ad acta?

Redakteur: Elke Witmer-Goßner

Mit Spannung blickte man Anfang voriger Woche nach Luxemburg: Denn dort fand die mündliche Anhörung zur Klage des Internetproviders SpaceNet AG und des Verbandes der Internetwirtschaft eco sowie des Parallelverfahrens der Telekom Deutschland GmbH gegen die umstrittene Vorratsdatenspeicherung statt.

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Fünf Jahre nach Beginn des Verfahrens könnte nun vom EuGH endlich Rechtssicherheit im Umgang mit der Speicherung von Daten für die deutsche Internet- und TK-Branche geschaffen werden.
Fünf Jahre nach Beginn des Verfahrens könnte nun vom EuGH endlich Rechtssicherheit im Umgang mit der Speicherung von Daten für die deutsche Internet- und TK-Branche geschaffen werden.
(Bild: Gerichtshof der Europäischen Union)

Die klagenden Parteien erwarten sich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Urteil darüber, ob die deutschen Vorschriften zur Speicherpflicht von Verkehrs- und Standortdaten – allgemein bekannt unter Vorratsdatenspeicherung – mit der europäischen e-Privacy-Richtlinie und der EU-Grundrechte-Charta vereinbar sind. Bis zu einer endgültigen Entscheidung ist das umstrittene deutsche Überwachungsinstrument, das bisher anlasslos und flächendeckend verlangt, Verkehrsdaten von Telefonie (Mobil, Festnetz, VoIP) und Internetdiensten sowie Standortdaten aller Nutzer zu speichern, ausgesetzt.

Dem Verfahren sind inzwischen 13 Mitgliedsstaaten sowie die EU-Kommission beigetreten, was die politische Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung widerspiegelt, um die seit Jahren heftig gerungen wird. Dies sei laut SpaceNet auch in der Schlussphase des Verfahrens vor dem EuGH nicht anders gewesen. Auf die Plädoyers von SpaceNet, Telekom, der Bundesnetzagentur, der 13 Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission folgte eine substantiierte Fragerunde durch die Richter und den Generalanwalt. Erst nach knapp zehn Stunden endete die mündliche Verhandlung mit den Schlussplädoyers.

In der Verhandlung wurden die hier relevanten Begriffe „nationale Sicherheit“ und schwere Straftaten“, auf deren Präzisierung SpaceNet Wert gelegt hatte, eingehend diskutiert. Einigkeit herrschte darüber, dass diese Begriffe konkretisiert werden müssten. Unklar ist hingegen, ob dies künftig durch den EuGH oder durch die Nationalstaaten erfolgen soll. Diese Begriffe hatte der EuGH in der hier wichtigen Entscheidung „Quadratur Du Net“ vom Oktober 2020 schon angesprochen.

Damals hatte das EuGH festgestellt, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht zulässig sei. Gleichzeitig wurden aber auch Ausnahmen gemacht. Vorratsdatenspeicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten dürfte weder flächendeckend noch pauschal sein, urteilte das Gericht vor knapp einem Jahr. Aber: Solle schwere Kriminalität bekämpft werden oder werde in einem konkreten Fall die nationale Sicherheit bedroht, dürften die genannten Daten hingegen auf Vorrat gespeichert werden.

Wie alles begann: 1996 forderte der Bundesrat erstmals Mindestfristen zur Speicherung von Daten. Zehn Jahre später bestand die EU darauf, dass die Mitgliedsstaaten die Vorratsdatenspeicherung im Landesrecht verankern.
Wie alles begann: 1996 forderte der Bundesrat erstmals Mindestfristen zur Speicherung von Daten. Zehn Jahre später bestand die EU darauf, dass die Mitgliedsstaaten die Vorratsdatenspeicherung im Landesrecht verankern.
(Bild: SpaceNet AG)

Nach fünf Jahren sei es an der Zeit, dass endlich Klarheit für die Internet- und Telekommunikations­branche, unsere Kunden und für alle Bürger herrsche, kommentiert SpaceNet-Vorstand Sebastian von Bomhard. Es dürfe keine anlasslose Totalüberwachung Millionen unschuldiger Bürger geben. Die Voraussetzungen, unter denen die Vorratsdatenspeicherung künftig anlassbezogen erfolgen dürfe, müssten präzise definiert werden. „Den nächsten Etappen im Verfahren sehen wir optimistisch entgegen und hoffen, dass der EuGH die Chance wahrnimmt, die Vorratsdatenspeicherung dauerhaft zu regeln“, so von Bomhard.

Unterwanderung der EuGH-Entscheidung durch nationale Regierungen

„Der Europäische Gerichtshof hat jetzt die Chance, die Vorratsdatenspeicherung ein für alle Mal vom Tisch zu fegen. Oder: Dem Drängen der Nationalstaaten nachzugeben und Schlupflöcher zu öffnen für eine Überwachung als Normalzustand”, kommentierte auch Julia Witte, Sprecherin von Digitalcourage. Der Verein engagiert sich ebenfalls seit langem gegen eine nutzlose und unverhältnismäßige Vorratsdatenspeicherung. Im Februar 2018 wurde deren aktuell laufende Verfassungsbeschwerde (BVer2683/16) vom Bundesverfassungsgericht angenommen.

Das EU-weite Interesse an dem Verfahren bewertete Digitalcourage bereits im Vorfeld kritisch und warnte, „dass Regierungen dies nutzen werden, um den Wesenskern der Entscheidung des EuGH zu unterwandern, indem sie jedes Schlupfloch ausnutzen und so die Ausnahmen zur Regel machen“. Nun hoffe der Verein, dass der EuGH mit dem anstehenden Urteil so viel Klarheit schaffe, dass dieser Strategie der Nationalstaaten ein Riegel vorgeschoben werde und die Vorratsdatenspeicherung als sicherheitspolitische Scheinmaßnahme endlich ad acta gelegt werde.

Mit langem Atem gegen die Staatsmacht

Die Münchener SpaceNet, einer der ersten Internetprovider Deutschlands, klagt bereits seit April 2016 gegen das umstrittene Überwachungsinstrument gemeinsam mit eco, dem Verband der Internetwirtschaft, und Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Universität Mainz. SpaceNet will die allgemeine und verdachtsunabhängige Speicherung von Verbindungs- und Telekommunikationsdaten endgültig stoppen und Rechtssicherheit für die Internet- und Telekommunikations-Branche herbeiführen.

„Mit der Vorratsdatenspeicherung wird eine Plattform geschaffen, mit der man Bürger ausspähen, aber keine Terroristen fangen kann“, ist von Bomhard überzeugt. Aufgrund ihrer tiefgreifenden Grundrechtseingriffe ist die Vorratsdatenspeicherung äußerst umstritten. Ihre Gegner sehen in ihr ein Instrument, das nur die Begehrlichkeiten bei Strafverfolgern und Justizpolitkern wecke, aber im Kampf gegen Verbrechen wenig nutze.

Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln war SpaceNet zuletzt erfolgreich: Es entschied 2018, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hatte 2019 das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.

Entscheidung fällt nicht vor 2022

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den 18. November 2021 angekündigt, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird nicht vor nächstem Jahr erwartet. In jedem Fall geht die Sache dann vor dem Bundesverwaltungsgericht weiter, wo seit „Quadratur du Net“ die Tendenz des Urteils erkennbar sein dürfte. Falle die Entscheidung des EuGH in unserem Sinne aus, so SpaceNet, könne das Kapitel Vorratsdatenspeicherung dauerhaft geschlossen werden, vielleicht zugunsten geeigneterer Methoden zu Prävention und Verfolgung von Straftaten.

SpaceNet AG vs. BRD

SpaceNet gegen Bundesrepublik, vertreten durch die Bundesnetzagentur:

  • EuGH, 13.09.2021, C-793/19 (und C-794/19 Parallelverfahren der Telekom)
  • Verfahrensgang:

  • BVerwG Leipzig, 25.09.2019, Az.: 6 C 12.18 (und Az.: 6 C 13.18, Parallelverfahren der Telekom)
  • VG Köln, 20.04.2018, Az.: 9 K 3859/16
  • OVG Nordrhein-Westfalen, 22.06.2017, Az.: 13 B 238/17
  • VG Köln, 25.01.2017, Az.: 9 L 1009/16
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