Interview mit Heinrich Welter, Genesys Eine intelligente Cloud für die Finanzbranche
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Auch in der Finanzbranche haben die wiederholten Lockdowns während der Pandemie Spuren hinterlassen. Mittlerweile erwarten Kunden von ihren Banken und Finanzdienstleistern über alle digitalen Kanäle hinweg permanente Verfügbarkeit, sofortige Reaktion bei Anfragen sowie umfassende Kenntnisse über die eigene Kundenhistorie.

Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten, ihre bestehenden Strukturen im Kundenservice schnell genug auszubauen. KI-gestützte Cloud-Lösungen könnten der Ausweg sein. Mit ihrer Hilfe können Unternehmen den veränderten Erwartungen an die Customer Experience im virtuellen Raum aktiv begegnen, die Kundenbeziehung nachhaltig stärken und die Loyalität fördern, zeigt sich Heinrich Welter, VP Northern & Eastern Europe and GM DACH bei Genesys, im Interview mit CloudComputing-Insider überzeugt. Der Anbieter ermöglicht mithilfe von Cloud-, Digital- und KI-Technologien „Experience-as-a-Service“ – das sind vorausschauende und hyperpersonalisierte Kundenerlebnisse, die die Bindung auf jedem Kanal zu vertiefen und gleichzeitig die Produktivität und das Engagement der Mitarbeiter verbessern sollen.
CloudComputing Insider: In den vergangenen zwei Jahren ließen sich laut Genesys enorme Veränderungen im Kundenverhalten feststellen, auch und gerade in der Finanzbranche. Was sind das für Veränderungen?
Heinrich Welter: Kunden suchen weiterhin betreuenden Kontakt, aber eben remote: Über Telefonanruf und Chat-/Videochat. Die verstärkte Nutzung der digitalen Kanäle wurde durch Covid ebenso befördert wie auch der generelle Trend bei Banken, Filialnetze zu reduzieren und verstärkt Online-Beratung anzubieten.
Genesys verspricht seinen Kunden im Finanzumfeld ein besseres Kundenerlebnis – dafür sollen „vorausschauende, automatisierte KI-Tools“ sorgen. Können Sie uns diese Tools näher vorstellen?
Welter: Natürlich ist die KI eine Schlüsseltechnologie für ein besseres Kundenerlebnis. Bei Genesys legen wir allerdings insbesondere darauf Wert, dass die KI nicht nur punktuell bei Bots zum Einsatz kommt, sondern für den Kunden über das gesamte Kundenerlebnis hinweg zur Verfügung steht und an vielen verschiedenen Stellen hilft, die Erfahrungen des Kunden zu optimieren.
Predictive Engagement etwa begleitet Webseiten-Besucher während des Surfvorgangs und ermittelt mittels KI und auf Basis des aktuellen Klick-Verhaltens, ob die zu erwartenden Ziele des Besuchers erreicht werden. Das kann ebenso der Aufruf einer Informationsbroschüre sein wie zum Beispiel die Nutzung eines Hypothekenrechners oder die Schnellkalkulation eines Allzweckdarlehens. Die KI ermöglicht es, zielgenau dann einzugreifen, wenn dies einen Mehrwert für den Kunden darstellt. Dazu kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz: angefangen bei zusätzlichen Informationen, die über einen Bot oder per Live-Chat zur Verfügung gestellt werden, bis hin zum Angebot eines Rückrufs oder einer Videochat-Einladung. Konversationelle KI erlaubt es Kunden, in natürlicher Sprache ihr Anliegen zu äußern – und das, ohne die relevanten Fachbegriffe kennen zu müssen. Über diesen Concierge Bot kann der Kunde schließlich an den passenden Mitarbeitenden oder die richtige Automation weitergeleitet werden, den Mission Bot. Predictive Routing hilft wiederum dabei, basierend auf anonymisierten historischen Daten zum Zeitpunkt einer anstehenden Interaktion den am besten geeigneten Mitarbeitenden auszuwählen. Auch dann, wenn dieser Mitarbeitende nicht sofort verfügbar ist und die Interaktion sich deshalb verzögert oder aufgeschoben werden muss. An dieser Stelle kann dann ein Rückruf angeboten werden. Agent Assist ermöglicht es dem Mitarbeitenden, während der konkreten Interaktion mit einem Kunden KI unterstützend einzusetzen. Die künstliche Intelligenz hilft, indem sie Vorschläge macht, alternative Szenarien vorbereitet, die Gesprächsführung strukturiert und zusätzliches Wissen bereitstellt. Die KI-gestützte Qualitätssicherung zum Interaktionsende verbessert nicht nur die Qualität von Interaktionen zwischen Mitarbeitenden und Kunden, sondern hilft auch, das wertvolle Feedback der Kunden zielgerichtet einzuholen, das heißt zum Beispiel basierend auf der durchgeführten Interaktion.
Wow. Wie funktionieren denn die Bots genau?
Welter: In der Praxis hat es sich am besten bewährt, zwischen einem Bot für die Erkennung des Anliegens – ein sogenannter Concierge Bot – und solchen Bots zu unterscheiden, die Anliegen erfüllen – zum Beispiel eine Ersatz-Bankkarte bestellen –, sogenannten Mission Bots. Bei beiden Bots ist konversationelle KI wichtig, um für den Kunden eine einfache Nutzung sicherzustellen. Dadurch kann auf komplexe Fachterminologie verzichtet werden und der Kunde sein Anliegen in eigenen Worten schildern. Durch die Trennung von Concierge Bot und Mission Bots ergeben sich zwei wichtige Vorteile: Erstens kann nach Erkennung des Anliegens eine Orchestrierung erfolgen, wie diesem am besten begegnet werden soll. Beispielsweise kann bei einem Kreditkartenverlust ein Mission Bot für den Neuversand der Karte eingesetzt werden oder eine Weiterleitung an einen Mitarbeitenden erfolgen, falls ein konkretes Upselling-Potential vorliegt. Außerdem können Mission Bots je nach „Mission“ mehr oder minder stark geführte Dialoge anbieten und so den Kunden schnell zum Erfolg führen. Denn es ist ja klar, dass es um das richtige Anliegen geht. Der Concierge Bot hingegen benötigt eine extrem breite Dialogführung, weil es darauf ankommt, aus allen möglichen Anliegen das für den Kunden tatsächlich relevante herauszufiltern.
Ein „menschenzentriertes Design“ soll für mehr Empathie in der Customer Experience sorgen. Dafür offeriert Genesys Tools, „die Menschen in den Mittelpunkt stellen“. Können Sie das menschenzentrierte Design und seine Werkzeuge näher erläutern?
Welter: Das Thema Empathie in der Customer Experience hat zwei Aspekte: den des Kunden, aber auch den des Mitarbeitenden. Empathie darf nicht mit Freundlichkeit verwechselt werden, denn jemand kann zwar freundlich sein, aber eine absolut nicht empathische Interaktion durchführen. Um als Mitarbeitender Empathie zeigen zu können, ist es wichtig, die richtigen Interaktionen mit dem richtigen Wissen zugeteilt zu bekommen. Gleichzeitig muss der Mitarbeitende während der Interaktion alle Informationen zur Verfügung haben, um diese empathisch gestalten zu können. Etwa zur Frage, ob schon zwei Mal ein falscher Betrag beim Kunden abgebucht wurde oder ob der Kunde bereits mehrere E-Mails an das Unternehmen geschrieben und dann dort angerufen hat. Für den Kunden ist natürlich nicht nur der empathische Mitarbeitende wichtig, sondern dass sein Anliegen schnell angegangen und gegebenenfalls über eine Automation rasch erledigt wird, beispielsweise am Wochenende. Eine gefühlte Abwehrschlacht durch Menüs und Ansagen führen zu müssen, bevor sich dann endlich ein Mitarbeitender dem Anliegen widmet, ist keine empathische Erfahrung.
Eine Genesys-Umfrage von 2019 unter rund 800 Arbeitnehmern ergab, dass KI im Arbeitsalltag eher als Freund denn als Feind angesehen wird. Haben Sie dazu neue Erkenntnisse?
Welter: Im Wesentlichen hat sich hieran nichts geändert. Auf der Hand liegt jedoch, dass sich der Fachkräftemangel seitdem noch einmal deutlich zugespitzt hat, während das Kommunikationsvolumen auch noch steigt – siehe die Beispiele Flughäfen und Fluggesellschaften. Ergo bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als auf KI zu setzen, um die Lösung bestimmter Aufgaben zu automatisieren. Zudem kann die KI dem Personal helfen, bei steigendem Anfragevolumen über alle Kanäle und Vorgänge informiert zu sein und dem Kunden dadurch empathische, passende Vorschläge zur Lösung seines Anliegens zu unterbreiten.
Ihre „Customer Experience-Software“ integriert CRM, Partner und andere Systeme. Was ist das für eine Middleware?
Welter: Das hängt natürlich von der Lösung ab. Bei der Genesys Cloud ist es die inhärente API, denn Genesys Cloud ist als eine „Platform as a Service“-Lösung (PaaS) entwickelt worden. Das bedeutet, dass Genesys selbst die Plattform-APIs verwendet, um seine Contact-Center-as-a-service-Oberflächen (CCaaS) zu entwickeln, sodass unmittelbar verfügbare und sofort nutzbare Oberflächen zur Verfügung stehen. Bei der Multi-Cloud gibt es ein sehr leistungsfähiges API-Set, das eine direkte Integration in alle Bereiche der Multicloud-Services ermöglicht – und zwar unter Nutzung des Frameworks der Containertechnologie, die dabei zum Einsatz kommt.
Eine agile Technologieplattform soll flexiblen, personalisierten und intuitiven Service in der gesamten Bank anbieten – vom Vermögensmanagement über die Kreditvergabe bis hin zu Zahlungen. Was ist das für eine Plattform?
Welter: Hier bietet Genesys zwei verschiedene Lösungen an, die beide flexiblen, personalisierten und intuitiven Service ermöglichen. Die eine Plattform, Genesys Cloud CX, basiert auf AWS und steht als Public Cloud-Angebot zur Verfügung. Die andere Lösung, Genesys Multicloud CX, basiert auf der Container-Technologie und lässt sich mit unterschiedlichen Hyperscaler-Infrastrukturen wie Microsoft, Google oder AWS ebenso nutzen wie mit auf anderen Rechenzentren betriebenen OpenShift-Infrastrukturen. Beide Lösungen sind für einen hochskalierbaren, unternehmensweiten Einsatz ausgelegt und erlauben nicht nur die Integration in alle notwendigen Backend- und Begleitsysteme wie zum Beispiel CRM, sondern auch ein OE/BU-basiertes Vorgehen, in dem auf die jeweiligen Erfordernisse verschiedener Unternehmenseinheiten bestmöglich eingegangen werden kann.
Genesys Cloud CX basiert deshalb auf Mikroservices und bietet sowohl offene Daten als auch KI. Die Plattform ist modular aufgebaut, kann sehr gut mit anderen Datenquellen integriert werden und ermöglicht dadurch eine maximale Personalisierung. Gleichzeitig kann mit der Genesys Cloud CX-Lösung eine umfangreiche Orchestrierung aller Komponenten wie Sprach-, Digital-, KI-, Analyse- und Workforce-Management erfolgen. Hierdurch wird zudem eine sehr gute Employee Experience sichergestellt. Nur wenn auch die Mitarbeitenden eine gute Erfahrung haben, kann das Ergebnis eine nahtlose, harmonische Customer Experience sein.
Der Einsatz von mehreren Clouds wird in der Finanzbranche u.a. deswegen empfohlen, um das Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Inwiefern kann ein cloud-basierter Ansatz aber auch Kunden als auch Mitarbeitern bessere Erlebnisse vermitteln?
Welter: Für Mitarbeitende flexibilisiert die Cloud den Arbeitsplatz und ermöglicht neue Arbeitsmodelle. Sie erlaubt auch, Mitarbeitende aus Filialen und dem Backoffice besser in Interaktionsabläufe einzubeziehen. Erst die Cloud-Technologie stellt KI mit all ihren zuvor beschriebenen Vorteilen vollumfänglich zur Verfügung. Integrationen verschiedener Cloud-Services in ein nahtloses Nutzungsumfeld der Mitarbeitenden sind durch moderne, webbasierte UI-Technologien und den PaaS-Gedanken gegeben. Mit Multi-Cloud CX lässt sich dann auch noch per Design eine Lösung etablieren, die auf verschiedenen Cloud-Stacks ausgeführt werden kann, um so Abhängigkeiten zu vermeiden.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Implementierung eines cloud-basierten Ansatzes in einem Finanzinstitut?
Welter: Cloud-Technologie bringt nicht nur modernste Technologie, sondern auch neueste Nutzungs- und Arbeitskonzepte mit sich. Wer versucht, eine prozessual veraltete Organisation mit einer modernen Cloud-Lösung umzusetzen, verpasst sehr viel von dem Potenzial der neuen Technologie und wird die Umsetzung komplizierter als nötig gestalten. Das heißt, mit dem Einsatz aktueller Cloud-Technologie sollte auch die Organisation der Interaktionsarbeit selbst an die neuen Möglichkeiten angepasst werden.
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