Hardware-Spezialisten auf dem Weg in die Cloud Das gedruckte Wort wird kopflos
Immer mehr ehemalige Hardware-Spezialisten mutieren zu Software-Anbietern. Nachdem HP vor zehn Jahren die Weichen gestellt hat, folgen diesem Trend nicht zuletzt viele Anbieter von Druckern und anderer Peripheriegeräte. In den Fokus schieben sich neben dem Content selbst nun Services und – oh Wunder! – die Anwender.
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Marktbeobachter sprachen – wie beispielsweise am 19. August 2011 in der FAZ – von einem „Paukenschlag“: In extrem schwierigen Zeiten erklärte der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Hewlett-Packard (HP) Léo Apotheker, dass man sich vom Geschäft mit PCs verabschieden werde – wiewohl man in diesem Bereich Weltmarktführer war. Künftig wolle man ausschließlich mit Software und Services Umsätze generieren.
Dummerweise war auch die Übernahme des britischen Software- und Cloud-Spezialisten Autonomy für zehn Milliarden US-Dollar Teil dieser Strategie. Das Unternehmen erwies sich als dubios geführt und nur einen Bruchteil der Einkaufssumme wert, Apotheker war seinen Posten bei HP nach wenigen Monaten Amtszeit wieder los. Interessanter ist aber, dass es sich bei Autonomy um einen Enterprise Content Management- und Suchspezialisten handelte.
Startpunkt der Digitalisierung: Der Content
Denn sich im Bereich ECM zu verstärken, war eigentlich ein genialer Schachzug von Apotheker: Ein Gutteil der Dokumente und Informationen in einem Unternehmen fand und findet sich auf Papier, das Digitalisierungspotenzial insbesondere im Mittelstand ist frappierend groß. Entsprechend groß fällt denn auch die Nachfrage nach Lösungen für ECM und Content Services aus.
Diese kommen selbstverständlich aus der Cloud, denn „cloud-basierte Softwarelösungen sind schnell skalierbar, sodass Unternehmen zunächst ohne Einschränkungen im kleineren Umfang mit der Implementierung beginnen können. Hohe Anfangsinvestitionen in Software und Infrastruktur weichen den in der Regel flexiblen Cloud-Abonnements“, weiß Ingo Wittrock, Director Marketing von Ricoh Deutschland, zu berichten. Auch Ricoh zählt zu den Experten für Drucker und ähnliche Geräte, die umgesattelt haben und nun schwer in Sachen Dokumentenmanagement engagiert sind.
Wittrock machte bereits 2019 einen Boom bei cloud-basierter Software für das Dokumentenmanagement und der Workflow-Automatisierung aus, beispielsweise in den Bereichen Rechnungsverarbeitung und Personalmanagement. Managed Print beziehungsweise Managed Document Services seien eine natürliche Basis und damit Treiber für die Digitalisierung im Unternehmen: „Ins Zentrum der Anwendung sind aber mehr denn je die Input- und Throughput-Funktionalitäten gerückt. Man könnte sagen, intelligente Multifunktionssysteme, die inzwischen mit KI-basierter Technologie arbeiten, sind mittlerweile in vielen Büros zum zentralen Hub und Interface für die Digitalisierung papierbasierter Informationen avanciert.“
Markt für ECM wächst rasant
Das bestätigen auch die Marktbeobachter: Das Analystenhaus BARC zeigt in ihrer Studie zu „ECM SaaS“, dass der Markt für Enterprise Content Management-Systeme extrem dynamisch ist, sie werden in den unterschiedlichsten Formen über die Cloud angeboten und bezogen, egal ob als Software-as-a-Service, Mietmodelle oder flexible Softwarebaukästen.
Aktuell finden sich mehr als 650 verschiedene CM-Systeme im Angebot – gerade einmal zehn Prozent davon bringen es auf einen Marktanteil von über einem Prozent. In anderen Worten: Neben den Marktführern WordPress, Joomla, Drupal und TYPO3 gibt es noch jede Menge anderer Systeme, oft hochspezialisiert. Sie stellen unterschiedliche Funktionen zumeist für Web-Projekte zur Verfügung.
Ähnlich verhält es sich mit den Anbietern, die extrem heterogen aufgestellt sind, was es für Anwender nicht immer einfach macht. Unterschiedliche Module und Funktionalität, aber vor allem sehr verschiedene Preismodelle erschweren die Vergleichbarkeit. Zudem lasen sich die zu erwartenden Kosten nur schwer abschätzen, so Barc, weil Skalierungen oft teuer bezahlt werden müssen.
Software übt eine starke Sogwirkung aus
Man sieht, HP blieb mit seiner Übernahme von Autonomy kein Einzelfall. Immer mehr ehemalige Hardware-Größen verlegten sich auf das Geschäft mit Services und Software, insbesondere Experten für Drucker und andere periphere Geräte wurden zunehmend zu Dokumenten-Managern. Aktuelles Beispiel: Kyocera, das nach der Übernahme von beziehungsweise Beteiligungen an Ceyoniq (ECM), ALOS (Datenerfassung und –speicherung), AKI (Daten- und Druckmanagement) und gerade eben Optimal Systems nun auf ein ganzheitliches Service-Angebot rund um das Content Management setzt.
„Als Unternehmensverbund unterstützt Kyocera alle Prozesse, in denen Dokumente eine Rolle spielen – von der Digitalisierung des Briefposteingangs per Scan über unternehmensweite Dokumenten-Workflows bis hin zur digitalen Archivierung oder der Ausgabe als gedrucktes Dokument“, so Dietmar Nick, Geschäftsführer von Kyocera Document Solutions Deutschland. „Wir helfen Unternehmen mit unserer gemeinsamen Expertise und Erfahrung dabei, Informationen neu zu denken und Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten.“
Seit dem 1. April 2022 gilt die Übernahme von Optimal Systems als abgeschlossen: Karsten Renz räumte seine Position als CEO des 1991 von ihm mitgegründeten Unternehmens Optimal. Abgelöst wurde Renz von COO Gregor Wolf, der bereits seit 2013 Teil des Management-Teams von Kyocera ist.
Ganz ohne Hardware geht es nicht
Der Zug hin zur Software ist insbesondere für ehemalige Peripherie-Experten also ein starker, hinzu kommen ebenso starke Konsolidierungstendenzen. Das verdeutlicht auch die Übernahme von DocuWare durch Ricoh vor drei Jahren, mit der Ricoh wie bereits angesprochen seinen Bereich für Dokumentenmanagement-Systeme weiter verstärkt.
Nick von Kyocera gibt allerdings zu bedenken, dass das Geschäft mit der Hardware noch lange nicht tot ist: „Unser Leistungsspektrum umfasst heute den gesamten Lebenszyklus von Dokumenten weit über Systeme für den In- und Output hinaus. Hardware, Software und Services müssen dabei ineinandergreifen, um die Digitalisierung und Optimierung von Geschäftsprozessen ganzheitlich voranzutreiben. Das bedeutet aber auch, dass hochwertige Systeme weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Viele Prozesse, aber auch ganze Branchen wie das Gesundheitswesen, sind auf zuverlässige Druckprozesse angewiesen.“
Klar sei aber auch: „Das gedruckte Dokument wird immer häufiger digital. Dadurch ergeben sich ganz andere Möglichkeiten im Umgang mit Informationen, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Als Hersteller investieren wir seit mehr als 20 Jahren in die Entwicklung von Lösungen, die die Geschäftsprozesse unserer Kunden effizienter gestalten. Das bedeutet für uns, dass wir unsere Kompetenzen erweitert haben. Da wir gleichzeitig aber auch unsere Druck- und Multifunktionssysteme ständig weiterentwickeln, würde ich weniger von einem ‚Shift‘ sprechen als von einer Erweiterung des Aufgabenfelds für die Branche.“
ECM wird kopflos
Moderne Enterprise-Content-Management-Lösungen erfassen und digitalisieren nicht nur Dokumente auf Papier, dies ist ja nur ein erster Schritt, sondern sorgen sich auch um das Verwalten, Speichern, Archivieren und zunehmend auch das Analysieren dieser Dokumente.
Eine der aufsehenerregendsten Entwicklungen beim CMS-as-a-Service stellt das Headless CMS dar. Ein solches System kann Inhalte über verschiedene Hardwareplattformen hinweg organisieren und anzeigen. Im Gegensatz zu herkömmlichen CMS, bei denen das Back-End-CMS (= der Körper) direkt mit dem Front-End-Frame (= der Kopf) verbunden ist, agiert Headless CMS-Systeme buchstäblich „kopflos“ – Content aus dem Back-End-CMS wird über APIs anstelle eines separaten Heads auf Hardwaregeräten angezeigt.
Moderne CMS sind zudem für den Einsatz mehrerer Clouds ausgelegt. Sie nutzen Microservices, Container und Serverless Computing, Künstliche Intelligenz (KI), Automatisierung und Customer Centricity (CS).
Von ECM zu Content Services
Sobald ECM-Lösungen neben der Speicherung und Archivierung vor allem die effiziente und flexible Nutzung und Verarbeitung von Inhalten in den Fokus rücken, was erheblich zur Beschleunigung von Geschäftsprozessen beitragen kann, sprechen Anbieter von Content Services.
Darunter verstehen sie cloud-basierte Dienste, „die entweder als separate Anwendungen oder als integrierte Lösung konzipiert sind. Sie unterstützen Unternehmen dabei, Inhalte flexibel, schnell und unabhängig von der Content-Art unternehmensweit zu managen“, so Heinz Wietfeld, Regional Manager bei Hyland, einem weiteren Spezialisten für das Content Management.
Content-Services-Plattformen bündeln die Unternehmensinhalte in einem zentralen Daten-Repository. „Anders als bei monolithischen ECM-Plattformen lässt sich diese dank einer Vielzahl an Schnittstellen leicht mit anderen Repositories und Archiven integrieren. Das erleichtert Unternehmen besonders angesichts der wachsenden Anzahl digitaler Informationsquellen – E-Mails, Mobile Apps, Chats, Online-Formulare und viele mehr – ein durchgängiges Informationsmanagement“, so Wietfeld.
Von Content Services zum digitalen Arbeitsplatz
Aber noch etwas wird dabei klar: Der Fokus auf den Content als zu digitalisierende Werte eines Unternehmens verschiebt sich auf den Nutzer dieses Contents. Aus Experten für Content Management werden zunehmend Spezialisten für den „Digital Workplace“. Das ist ein steiniger, jedoch quasi natürlicher Vorgang: Sobald Dokumente digitalisiert wurden, können sie über die Cloud bereit gestellt und über eine Collaboration-Plattform – entweder UCC-Lösungen („Unified Communciations & Collaboration“) oder EFSS-Systeme („Enterprise File Sync and Storage“) – geteilt werden. Die Digitalisierung war damit nur der Anfang, der die Bearbeitung an den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter folgt.
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